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Nr. 091: Einmal mustergueltig, immer mustergueltig?!

Nr. 091: Einmal mustergültig, immer mustergültig?!

Neuwahlen im Februar 1951: Amtierender Vorstand ist auch Gartenberater und Schulungsleiter – überlastet. Er gibt Vorstandsamt ab. – Kommt jetzt der ehemalige Gründungsvorstand zum Zuge?

Der Leiter des Unterbezirks Fallersleber Tor im „Landesverband Braunschweig der Kleingärtner e. V.“ wohnt den beschriebenen Neuwahlen im Februar 1950 bei: Gfr. Kortegast. Der scheint im Mutterkamp selbst einen Garten gepachtet zu haben, Nr. 21, den Verein im Unterbezirk/Bezirksverband Fallersleber Tor zu vertreten und dieser Bezirksverbandsgruppe damals eben zufälligerweise vorzustehen. Kortegast kritisiert Gfr. Peters’ Verhalten bei der Abstimmung, nachdem der bei der Wahl zum 1. Vorsitzenden Gfr. Gramann unterlegen war, und verwendet dafür eine bemerkenswerte Formulierung:

„Zum Schluß der Versammlung ergriff Kortegast das Wort. Er brachte zum Ausdruck, daß der Gartenverein Mutterkamp immer noch als mustergültig dastünde. Die Kameradschaft müsse auch fernerhin gepflegt werden. In scharfen Worten tadelte er die Äußerungen des G.f. Peters, welcher nur m. der Opposition verbleiben wolle. Kortegasts Ausführungen ernteten reichen Beifall.“ (04.02.1950, PB I, S. 72–74, hier S. 73 f.)

Stadtarchiv Braunschweig (1899/1962): Ausschnitt aus der Erstausgabe der Meßtischblätter 1:25000. Nr. 3628 Wendeburg, 3629 Meine, 3728 Vechelde, 3729 Braunschweig. Zusammengesetzt vom Niedersächsischen Landesverwaltungsamt – Landesvermessung. Genehmigung des Niedersächsischen Landesverwaltungsamt – Landesvermessung vom 21. 6. und 13. 7. 1962 – B 4 – 292/62. Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten (= Atlas 3), Signatur A III 102: Blatt 57

Noch mal zurückgespult …

Eine wichtige Firmenneugründung Ende des 19. Jahrhunderts war die der „Braunschweigischen Mühlenbauanstalt Amme, Giesecke und Konegen“ („BMA“) am 1. Januar 1895, weil sie auch Maschinen für Zementfabriken herstellte. Und auf einem Grundstück des Zementwarenfabrikanten Richard Maring – etwa 12,5 Morgen Land (3,1 Hektar) im Verlaufe der verlängerten Heinrichstraße zwischen dem Franzschen Feld und dem sog. Adamsgraben – wurden ab dem Jahr 1907 genau 168 Parzellen verpachtet. Die „Pächtergemeinde“ aus „Hand- und Kopfarbeitern“ war kein eingetragener Schrebergartenverein.

Im Mai 1923 verkaufte die Erbengemeinschaft Maring die Fläche an die Firma Gebr. Fricke, woraufhin Dachdeckermeister Friedrich Fricke neuer Verpächter der weiterhin nicht als Verein organisierten Kolonie wurde. Vereinsprotokolle verwenden den Begriff „alte Kolonie an der Heinrichstr“. 1933 erfolgt zwangsweise die Firmierung zum „Schrebergartenverein Heinrichstraße“.

Auf diesem Raum, dem ehemaligen Fricke’schen Gelände, der von den Kleingärtnern als blühende Gartenkolonie gehegt und gepflegt wird, sollte das „Fliegerviertel“ und das Luftgaukommando gebaut werden. „Vereinsführer“ Richard Geibel beklagt im April 1934 gegenüber dem Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Hesse die Kündigung des gepachteten Geländes. Es brauchte günstig gelegenes Ersatzland …

Die 6 Hektar große, bisher vom Klostergut Riddagshausen landwirtschaftlich genutzte Fläche östlich des Nußberges bis zu den Wabeauen mit der Flurbezeichnung „Mutterkamp“ wird mit einer Nutzfläche von durchschnittlich 435 qm für 117 Kleingärtnernde neue Heimat.

Nein, nein, für 119 dank der findigen Neu-Alt-Pächterinnen und erfahrenen Pächter.

„Kameradschaft müsse auch fernerhin gepflegt werden“

Es ist schon erstaunlich, dass sich Gfr. Kortegast im Jahr 1950 (immer noch und/oder schon wieder) ausgerechnet des Begriffs „mustergültig“ bedient, um den KGV Mutterkamp zu beschreiben. Ohne dies gewiss zu beabsichtigen, stellt er sich damit sozusagen in die Tradition von „Landesgruppenführer Dippold“, der wie folgt im Protokoll zur ersten Vereinsversammlung vom 17. Mai 1935 zitiert worden war: „Der Landesgruppenführer, Herr Dippold, … macht darauf aufmerksam, daß der Verein, der als Musterkolonie gelten soll, denn es ist die erste Dauerkolonie, den Landesschulungsleiter unter seinen Mitgliedern zählt und fordert die Mitglieder auf, den Weisungen des Landesschulungsleiters zu folgen, damit eine Musterkolonie auch entstehen würde. Der Landesschulungsleiter, Mitglied Funccius, verspricht nach besten Kräften, den Verein zu unterstützen.“ (17.05.1935, PB I, S. 1)

46 Stimmen zu 27 Stimmen, 2 Stimmen ungültig.

Es wäre gleichfalls falsch zu behaupten, dass sich Gfr. Gramann (wiederum) in die Tradition von Gfr. Funccius stellt, indem auch Gfr. Gramann in Personalunion nicht nur Vereinsvorsitzender ist, sondern zugleich „Schulungsleiter“ wie auch „Gartenberater“. Im Februar 1951 ist es nicht (mehr) verwerflich, sondern „löblich“ und erwünscht, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Es heißt im Protokollbuch über die Neuwahl im Februar 1951: „Der I. Vors. Gartenfr. Gramann eröffnete um 10 Uhr die Versammlung. … Es folgt die Vorstandswahl. Der Vorst. G.fr. Gramann lehnt eine Wiederwahl ab, da er als Gartenberater u. Schulungsleiter mit Arbeit überlastet sei.“ (18.02.1951, PB I, S. 78–81, hier S. 79 f.) Und es ist „gut“, in „jüngster Sprache“ formuliert, „sich zu erlauben, auf sich zu achten“ und sich eben nicht zu überfordern, zu verzetteln, auszubeuten oder sich für unersetzlich zu halten, sondern Verantwortlichkeiten auf den Schultern mehrerer Personen zum Vorteil aller zu verteilen.

Was lange in der Schwebe bleibt und die Kleingärtnernden auf dem Mutterkamp beunruhigt, ist die Frage nach dem Verlauf der „Osttangente“ und dem Zeitpunkt für deren Umsetzung. Die Osttangente hätte (wiederum erneut) Gartenland gekostet. Foto: Stadtarchiv Braunschweig (1977): Flächennutzungsplan. Atlas „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“, 3.70
In der Karte von 1899 sind im Übrigen auf dem 1935 vergebenen Ersatzgelände Wegestrukturen eingezeichnet ... Eine spannende offene Frage zum Weiterforschen im Kontext „Gespenst“ Osttangente am „Landstreifen zwischen Bahn und Kolonie“, einverleibte Grabelandflächen am alten Reitweg bis hin zum entstandenen „Promenadenweg“ quer durch die Kolonie, der den KGV Mutterkamp in eine sog. „Westzone“ und sog. „Ostzone“ unterteilt und sinnigerweise „Mutterkamp“ heißt … Stadtarchiv Braunschweig (1899/1962): Meßtischblatt. Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten (= Atlas 3), Signatur A III 102: Blatt 57

(Altneu-)Gewinner dankt fürs Vertrauen und verspricht, ganze Kraft fürs Wohl des Gartenvereins einzusetzen.

„Gartenfr. Schrader [Nr. 69] leitete die Neuwahl und dankt dem Gesamtvorstand für die geleistete Arbeit. … Zum 1. Vors. wurden Stelter [Nr. ?], Peters [Nr. 116] u Heine [Nr. 16 oder Nr. 45] vorgeschlagen. G.f. Heine lehnt ab. Es folgt die Abstimmung durch Wahlzettel. G.fr. Peters erhält 46 Stimmen. G.fr. Stelter erhält 27 Stimmen. 2 Stimmen sind ungültig. G.F. Peters nimmt die Wahl an und dankt für das Vertrauen u. verspricht[,] seine ganze Kraft für das Wohl des Gartenvereins einzusetzen.“ (18.02.1951, PB I, S. 78–81, hier S. 79 f.) Und so ist bis heute und so möge es in Zukunft weiterhin sein: Ehrenämtlerinnen und Ehrenämtler setzen ihre ganze Kraft – reflektiert, in Maßen – für das Wohl des Gartenvereins ein.

Von ehemaligen aktiven Mitgliedern, die zu passiven Mitgliedern werden –

Und der Showdown? „Pg. Peters“’ Abgang? Vielleicht ist es eine Stärke von Kleingärtnernden als solchen, eine Gelassenheit zu entwickeln hinsichtlich der „Mischkultur“ mit ewig wiederkehrendem Wildkraut – damit meine ich im übertragenen Sinn Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Zielvorstellungen.

Im Geschäftsbericht 1955 schreibt Gfr. Stelter, Nr. ?: „Leider mußte aus Gesundheitsrücksichten sehr schweren Herzens auch der Mitbegründer und mehrmalige Vereinsvorsitzende Wilhelm Peters seinen Garten in andere Hände geben. Schmerzlich für uns sein Ausscheiden, um so erfreulicher für uns aber seine Wunschäußerung, weiterhin als passives Mitglied in unserem Verein zu bleiben, so daß er uns auch für die kommende Zeit mit Rat und Tat zur Seite stehen wird. Ich danke ihm für diese Bereitwilligkeit und wünsche ihm von ganzem Herzen gute Besserung und baldige Genesung.“ (Geschäftsbericht 1955, S. 1)

Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens gab es (noch keine) keine Festschrift. Einladungskarte (1955). Archiv KGV Mutterkamp e. V.
Einladungskarte (1955): „20-jähriges Bestehen des Gartenvereins Mutterkamp“. Rückseite mit Angabe der Lokalität, des Beginns und des Programms am darauffolgenden Tag. Archiv KGV Mutterkamp. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

Exkurs Vereinskantine

Der Vorstand lädt zum Stiftungsfest am 30. April 1955 ins Gewerkschaftshaus in der Wilhelmstraße ein, weil das alte Vereinsheim … nach 20-jähriger Standzeit erhebliche Mängel auf[wies] und … mit der Zeit auch für Versammlungen und Schulungen zu klein geworden [war].

Dieter Richwien erzählt genauer im Interview (Januar 2020): „Es gab in Braunschweig eine Firma, Spindler Barackenbau hieß die, und der Lebensgefährte von Adele Koch – Nr. 100, Kantinenwirtin –, Robert Walaschewski, der hat in dieser Barackenbaufirma gearbeitet. Und der hat es dem damaligen Vorstand – Gustav Bodenburg, Nr. 75 – erzählt, dass da eine Baracke zum Abriss wäre und dass sie zu verkaufen wäre. Und da sind einige von uns hingefahren, haben das Ding angeschaut und haben es für gut befunden. Dann sind wir eines Tages mit den Lkws losgefahren. … Ich habe die Baracke mitaufgebaut, die Dachsparren aufgestellt – eine Seite hier hochgestellt, die andere Seite Hans Bohnhorst –, das hat mir alles Spaß gemacht – bloß die reine Gartenarbeit, das war [damals] nicht so meins.“

Die Chronik von 1985 erzählt: Von der Zweigstelle der Staatsbank in Königslutter wird kurz entschlossen eine gute Bürobaracke günstig gekauft („Sparkassenbaracke“), dort von einer handvoll Gartenfreunde abgebrochen und nach unserem Vereinsplatz gebracht. Im [Frühjahr 1959] entsteht der Neubau unseres Vereinsheimes in Größe von 10 mal 15 Metern. „[V]iele Gartenfreunde haben ihren Urlaub geopfert und den Aufbau vorangetrieben“, notiert Hans Bohnhorst in seinem Redemanuskript zur 50-Jahr-Feier.

Die Eröffnungsfeier der verwandelten „Sparkassenbaracke“ („neues Vereinsheim“) findet am 5. März 1960 statt. Im Juni 1960 begehen die Kleingärtnernden darin ihre 25-Jahr-Feier.

In der Chronik von 1985 heißt es weiter: Unser Heim konnte in den folgenden Jahren laufend verbessert werden, so daß es noch urgemütlich ist.

… „um so erfreulicher seine Wunschäußerung, als passives Mitglied zu bleiben“ …

Wie schön, dass eine passive Mitgliedschaft als Lösungsmöglichkeit für diejenigen Gartenfreundinnen und Gartenfreunde winkt, deren körperliche Kräfte nachlassen. Und des einen Leid, des anderen Freud, der eine geht, die Nächsten kommen: „Da im Laufe des Jahres 8 Mitglieder ihren Garten aufgaben, konnten wir unseren passiven Mitgliedern […] ihren Wunsch erfüllen und einen Garten zur Verfügung stellen“ (Geschäftsbericht 1955, S. 1)

… wenn passive Vereinsmitglieder (schlussendlich) zu aktiven Kleingärtnernden werden. (Und wer bloggt (wann) weiter?!)

Was glaubt ihr, welcher Familienname da an erster Stelle genannt wird? Welches passive Mitglied wurde 1950 endlich zu einem aktiven Mitglied, wovon der KGV Mutterkamp wiederum sehr profitiert hat? Es geht um Familie Richwien. Paul Richwien (sen.) beackerte zunächst Parzelle 6 …

Alle Festschriften des KGV Mutterkamp e. V. in BS-Riddagshausen. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

Quellen:

  • Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
  • Hopstock, Gerhard (1955): „Betrifft: Tätigkeitsbericht Sommer 1955“. 2 Seiten. Archiv KGV Mutterkamp. (Geschäftsbericht 1955)