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Nr. 087: Argument 1: Nach 1945 besteht sowieso kein Interesse an „Reitsport“

Nr. 087: Argument 1: Nach 1945 besteht sowieso kein Interesse an „Reitsport“

Alter Reitweg war dem KGV seit 1935 ein Dorn im Auge – (mindestens) „Beweidung“ nach 1945 – Versuch, die „Beweidung“ zu „legalisieren“ – Argument 2: Reitweg als Fahrweg überflüssig, denn es gibt ja zwei andere Fahrwege. (Welche meint der Vorstand? Erstens den „Weg nach Riddagshausen“ und zweitens die Verlängerung der Grünewaldstraße jenseits des KGV Soolanger?)

Am 10. Mai 1946 rekonstruiert „Der Vorstand des Gartenvereins ,Mutterkamp‘“ ein zweiseitiges Schreiben (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946, S. 1), wie es – „ungefähr folgende Begründung“ enthaltend – ab Mai 1945 an die städtische Brachlandstelle geschickt worden sein soll. Dem Vereinsvorstand war es darum gegangen, die Erlaubnis zu bekommen, den Alten Reitweg bewirtschaften zu dürfen. Das Schreiben listet dafür acht Gründe auf.

Womöglich auch die Eltern eines späteren Prominenten haben ein Schuttproblem – wie alle Pächterinnen und Pächter parallel zur Straße „Am Nußberg“ (so die heutige Benennung / Benennung seit XXXX). W. Hunold (1986): „Betr. Gartenverein Mutterkamp, Ebertallee. Sehr geehrte Herren, ich wende mich heute mit einer Bitte an Sie.“ Brief ans Stadtgartenamt. Stadtarchiv Braunschweig, Sign. E 63 267 Akz. 2008/167 (Heft 1). Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

Exkurs: Spätere Prominenz im Schatten der Akazien/Robinien

Im Gartenverein Mutterkamp dürfte ein Prominenter einen Teil seiner Freizeit als Heranwachsender verbracht haben: der Schauspieler Rainer Hunold, geboren am 1. November 1949 in Braunschweig. Abitur machte Rainer Hunold 1970 am Gymnasium Raabeschule, das damals in unzerstört gebliebenen und kaum genutzten Räumen des ehemaligen Luftflottenkommandos untergebracht war.

Als der spätere niedersächsische Kultusminister Adolf Grimme in der britischen Besatzungszone zuständig gewesen war für das Erziehungswesen, entwickelte sich die Raabeschule weiter als „höhere Schule in Aufbauform, (mit Aufbauzug ab der 7. Klasse)“. Hunold besuchte die Schule vor deren Umzug in den Heidberg. Dass der prominente Absolvent 1992 mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold ausgezeichnet wurde, schließt den Kreis – für seine Rolle als Manager Bernd Otto in „Kollege Otto“ im halbdokumentarischen WDR-Film über den COOP-Skandal.

Doch zunächst studierte Hunold ab 1970 Kunstpädagogik und Bildhauerei an der Braunschweiger HDK, ehe er an der FU in Berlin dann Germanistik belegte, um sich dann „gegen den Rat seiner Eltern“ ab 1975 an der „Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel“ ausbilden zu lassen, jetzige Universität der Künste Berlin.

1978 erreichte Rainer Hunold den Durchbruch mit einem ZDF-Mehrteiler „Ein Mann will nach oben“. Der Schauspieler wird als Strafverteidiger Dr. Rainer Franck ein bekannter Serienprotagonist an der Seite des Privatdetektivs Matula in „Ein Fall für Zwei“ (90 Folgen 1988 bis Ende 1996) oder als Dr. Peter Sommerfeld in „Neues vom Bülowbogen“ (140 Folgen 1997 bis 2004) und verkörpert fürs ZDF seit 2005 einen Oberstaatsanwalt in „Der Staatsanwalt. Krimiserie aus Hessen“ (bis heute [April 2022] 103 gedrehte Episoden).

Argument 3: zunehmende Menge an Spaziergängern belasten Anlieger sowie Argument 4: „Spitzbuben“ – als Spaziergänger „getarnt“ – planen tags ihre nächtlichen Raubzüge

Der Brief vom Mai 1946 enthält zunächst eine Rückschau: „Nach dem Zusammenbruch, im Frühling und Sommer 1945, waren die Zustände so unhaltbar geworden, daß der Gartenverein versuchte, im Rahmen der Brachlandaktion die einstweilige Aufhebung der Wege durchzusetzen. Es wurde damals [mutmaßlich nach Mai 1945] an den Leiter der Brachlandstelle [Hr. Zirkel] ein Schreiben gerichtet, das ungefähr folgende Begründung enthielt: 1.) Der Reitweg ist durch Beseitigung der Wehrmacht, SA und SS überflüssig geworden. Privatpersonen werden einstweilen auch kaum Gelegenheit haben, den Reitsport in einem so ausgedehnten Maße zu betreiben, daß ein Bedürfnis vorläge“ (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946, S. 1) – also „das Bedürfnis“ nach einem Reitweg. So weit die erste Begründung im Schreiben.

Argument 5: Drahtzaun – Löcher hineingeschnitten: Garteneinbrüche, Lauben ausgeraubt, Tiere und Geräte gestohlen sowie Argument 6: Hecken – Versteck/Steigbügel für „Diebesgesindel“ und Pflanzenschädlinge

Es folgen acht weitere, klar aufgelistete Argumente. Die Rekonstruktion von 1946 gibt also alles andere als eine„[u]ngefähr folgende Begründung“ wieder. Man scheint sich bestens zu erinnern, wie man 1945 zu argumentieren versucht und zudem zu argumentieren verstanden hatte. Das Schreiben vom 10. Mai 1946 ist an dieser Stelle so interessant, weil es kein Blatt mehr vor den Mund nimmt und die zeithistorischen Gegebenheiten auf dem Mutterkamp und damalige Denkweisen sehr anschaulich erzählt:

„Die Zahl der Garteneinbrüche von diesen Wegen aus nahmen so überhand, daß fast kein Garten unbehelligt blieb. […] Im Sommer und Herbst 1945 änderten besagte Diebe ihre Taktik insofern, als sie mit Drahtscheren große Löcher in die Umzäunung schnitten, um auch größere Gegenstände bequemer herauszukriegen. Dieses wurde so arg, daß es sich garnicht mehr lohnte, diese großen Löcher zu flicken.“ (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946, S. 1)

Fortsetzung Exkurs „Gartenpromi“: Gartenstück am Schutthaufen davor zu erkennen

Rainer Hunolds Eltern werden womöglich in der Husarenstraße 31 gewohnt und Garten Nr. 71 gepachtet haben, denn W. Hunold schreibt am 15. April 1968 ans Stadtgartenamt: „Mein Gartengelände grenzt an den Fußweg zwischen Bahnlinie und Verein Mutterkamp – von der Ebertallee / Kiosk kommend“. W. Hunold bittet, den 6. und 7. Baum am Fußweg auszulichten, also am im Lageplan von 1962 sog. Fuß- und Fahrweg, heutiger Weg „Nußberg“, denn „[s]chon seit Jahren wird der Ertrag meines Gartens durch die zu vollen Bäume behinderte Sonneneinstrahlung vermindert.“

„Unser Garten ist der vorletzte vor dem neugeschaffenen Fußweg durch das Gelände des Mutterkamps. Zur Zeit befindet sich ein großer Schutthaufen vor unserem Gartenstück. (Für Sie zur Orientierung.)“ Möchte Rainer Hunolds Vater durch diesen Zusatz absichtsvoll-höflich schlummernde Hunde wecken? Die Stadt animieren, sich um den „Müll“ zu kümmern? Der „große Schutthaufen“ gerät jedenfalls genauso ins Visier wie die zu viel Schatten spendenden Akazien. Am 2. Juli 1968 notiert XX XX Loose („Los.“) handschriftlich: „Schutthaufen sind entfernt“ – es muss sich also um mehrere gehandelt haben! –, „Bäume soweit es notwendig war zurückgeschnitten und trockene Äste entfernt. 6 + 7 Baum nicht besonders behandelt, Abstand zum Garten ist groß genug, Sonneneinstrahlung nur gering vermindert.“

Links oben bei Garten Nr. 71 ist der Familienname „Hunold“ im Plan von 1962 zu lesen, hier eine Kopie von 1975. In diesem Plan noch nicht eingetragen ist der „neugeschaffene Fußweg“, von dem W. Hunold schreibt. Es handelt sich um den sog. „Alte[n] Reitweg“ zwischen den Gärten Nr. 89 und 90 und entlang der Gärten Nr. 91–96/119 sowie Nr. 97–103 hinunter zur Mittelriede. Lageplan (1962/1975): Stadtarchiv Braunschweig, Sign. E 63 267 Akz. 2008/167 (Heft 1). Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

Argument 7: Zertrampelte Wiesen sowie Argument 8: Trampelpfade am Bahndamm, an der Böschung, durch den Nussberg

„Auch für die Wiesenbesitzer waren die Wege eine Quelle von Nachteilen, denn fast täglich konnte man beobachten, wie sich Schwärme von Spaziergängern in die Wiesen ergossen, um Blumen zu pflücken und Futter für die Kanienchen zu holen. An Sonntagen wurden die Wiesen oft so zertrampelt, daß die Heu- und Grummeternte überhaupt in Frage gestellt wurden.“ (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946, S. 2) Mit „Grummet“ ist Heu gemeint, das sich durch den zweiten (oder dritten) Rasenschnitt innerhalb eines Gartenjahres gewinnen lässt.

„Man sehe sich nur die Böschung an der Stelle an, so wird man sich sein Urteil selbst bilden können.“

Der Gartenvereinsvorstand argumentiert dem Braunschweiger Stadtgartenamt gegenüber folgendermaßen – bewusst weitsichtig oder „unangemessen-übergriffig“? „In nicht geringem Maße“ hätten auch die Bahndämme „gelitten“, da die Spaziergängerinnen und Spaziergänger „schließlich garnicht mehr“ daran dächten, „nach Verlassen des fragl. Weges den Weg an der Gifhorner Bahn entlang zu gehen, um über die Brücke zu nach der Stadt zu gelangen“, denn es sei „ja bequemer, sich einen Weg über die Geleise und durch den Nußberg zu bahnen“ (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946, S. 2).

Quellen: