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Nr. 086: „unnötiges Staubaufwirbeln“ – Belästigung!

Nr. 086: „unnötiges Staubaufwirbeln“ – Belästigung!

Wurde in die Konzeption der „Musterkolonie Mutterkamp“ 1935 ein Reit- und Fahrweg integriert? Hat der Querweg die Kolonie durchschnitten? Hat der Weg die Kolonie auseinandergerissen?

Vom 10. Mai 1946 datiert ein Schreiben des Vereinsvorstands an das Stadtgartenamt, um die „Legalisierung“ der Bewirtschaftung des „Alten Reitwegs“ zu erwirken. Der Brief beginnt so: „Als im Jahre 1932 die Kleingartenkolonie ,Mutterkamp‘ eingerichtet wurde […]“ Mit rotem Stift ist ein Pfeil hinter die Jahreszahl 1932 gesetzt. Gfr. Peters notiert mit blauer Tinte handschriftlich: „stimmt nicht: Peters“. Die Datierung ist falsch, wie wir wissen. Es war im Frühjahr 1935, als „in die Anlage ein Reit- und Fahrweg einbegriffen [wurde], [der] die Kolonie in west-öst. Richtung durchschnitt und auseinanderriß. Schon damals vermochte man nicht einzusehen, weshalb das geschah, und es wurden verschiedene Versuche gemacht, die Anlage dieser Wege zu verhindern.“ (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946, S. 1)

Frisch (auf)gebackener KGV Mutterkamp versucht zu verhindern, dass ein Querweg durch die Kolonie miteingeplant wird.

Was hatte man damals ausprobiert? Im August 1936 versuchte man, sich mit der Stadtverwaltung auseinanderzusetzen: „In einer Aussprache über die Anlage der Gärten gibt Herr Baurat Dierichs Erklärungen […] über den Ausbau des Querweges durch die Kolonie.“ (28.08.1936, PB I, S. 17) Doch der „Trampelpfad“ etabliert sich über die Monate und Jahre und läuft im Mai 1938 (längst) unter der Bezeichnung „Reitweg“, siehe eine beiläufige Notiz in einem Protokoll: „Altes Gerümpel darf weder innerhalb der Kolonie noch in der nächsten Umgebung, bes. am Reitweg, fortgeworfen werden.“ (12.05.1938, PB I, S. 22–23, hier S. 22)

Dieter Richwien erinnert sich im Interview am 17. Januar 2020 an die Geschichte des alten Reitwegs:

„In den 1950er Jahren ist dieser Weg wieder durchgekommen. Da war dieser Weg also jahrelang da. Und als ich noch Vorsitzender war, bin ich immer zu den Bezirksratssitzungen gegangen. Der Weg war furchtbar schlecht, das Pflaster war kaputt – all so ein Kram.

Einmal bin ich wieder bei einer Bezirksratssitzung gewesen, und da war zufällig Oberbürgermeister [Dr. Gert] Hoffmann da. Es ging um Fragestunden undsoweiter. Da habe ich dann erzählt, da gibt es einen Weg mitten durch unseren Gartenverein hindurch, der furchtbar schlecht gepflastert ist, der auch seit 50 Jahren keinen Namen hat, während unten die Wege einen Namen haben [z. B. Tafelmakerweg].

Da sagt der Hoffmann plötzlich: ,Da fahre ich doch immer aus der Stadt mit dem Fahrrad zu meinem Freund nach Querum durch, den kenne ich, den Weg! Und der hat keinen Namen?‘

,Nein, der hat keinen Namen.‘ Ich sage: ,Wir könnten ja mal darüber nachdenken, dem Weg einen Namen zu geben.‘

,Ja, was schlagen Sie denn vor?‘

Ich sage: ,Im Mutterkamp‘, ,Am Mutterkamp‘ oder ,Mutterkamp‘.

„auf den Reitwegen durch die Kolonie u. an der Westseite entlang“ soll „nur Schritt geritten“ werden.

Und dieser „Alte Reitweg“ entlang der Gärten Nr. 89, 88, 87, 86, 85, 84, 82, 81 (an „Gang 4“ gelegen), 90, 91, 92, 93, 94, 95 (an „Gang 5“ gelegen), 96 (und 119) „nervt“ gehörig, wie das Protokoll zu verstehen gibt: „Es wird Klage darüber geführt, daß einige Garteninhaber durch den Staub, der durch galoppierende Reiter auf dem Reitweg aufgewirbelt wird, belästigt werden, u. es wird verlangt, daß auf den Reitwegen durch die Kolonie u. an der Westseite entlang nur Schritt geritten wird. Der Vereinsführer verspricht, sich an die maßgebenden Stellen zu wenden und Abhilfe zu schaffen.“ (12.05.1938, PB I, S. 22–23, hier S. 23)

Ist die „Problematik“ im Juli 1941 gelöst? (Das „Problem“ wiegt wenig im Bezugsrahmen des damaligen Weltgeschehens.) Nein, wie das Protokoll nahelegt: „Viel Klagen werden über den Reitweg geführt. Es soll eine Eingabe gemacht werden, daß das unnötige Staubaufwirbeln vermieden wird von den Reitern.“ (21.07.1941, PB I, S. 31)

Fortsetzung des Interviews mit Dieter Richwien am 17. Januar 2020 zur Geschichte des alten Reitwegs:

„Die haben das zur Kenntnis genommen, und irgendwann kamen sie dann: ,Ja, wir stimmen dem zu, dass der Weg einen Namen kriegt, aber wir machen nur ,Mutterkamp‘. Das ist im Adressbuch besser zu finden, als wenn da ,im‘ oder ,am‘ dran steht.‘

Es ist nicht verkehrt, aber ,Im Mutterkamp‘ oder ,Am Mutterkamp‘ wäre besser gewesen, denn ,Mutterkamp‘ vermuten manche weiter vorne, an der Ebertallee. Na ja, darauf haben sie sich nicht eingelassen. Und da hat der Weg den Namen ,Mutterkamp‘ gekriegt. Das haben wir dem Hoffmann noch zu verdanken.“

Der Rat der Stadt Braunschweig hat in seiner Sitzung am 14. Dezember 2010 beschlossen, den Weg durch den Kleingärtnerverein Mutterkamp zwischen Nußberg und Mittelriede zu benennen: Mutterkamp mit der Schlüsselnummer 38982. Das hat gar nicht lange gedauert, dann wurde der Weg neu asphaltiert, obwohl es natürlich auch gefährlich ist, dass sie alles so glatt gemacht haben, denn es ist ja eine Rennbahn geworden. Wenn man den Weg kreuzt, sollte man sehr vorsichtig sein vor Radfahrern oder was da so runterkommt.“

Reitweg war angeblich „gebraucht“ worden – für Geländeritte der NS-„Kampfverbände“.

Das Vorstandsschreiben vom 10. Mai 1946 ans Stadtgartenamt will Transparenz schaffen. Man scheut sich nicht, auch paramilitärische Gruppierungen („Kampftruppen“) der NSDAP beim Namen zu nennen – die SS und die SA, „als berüchtigte Schlägertruppe bekannt“ (Braunschweigisches Landesmuseum 1994, S. 4): „Leider blieben alle diese Bemühungen erfolglos, da s. Zt. [seinerzeit] behauptet wurde, die Wehrmacht, die SA und besonders die SS brauchten diesen Reitweg für ihre Geländeritte. Man mußte sich damals damit abfinden. …“ (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946, S. 1)

Quellen:

  • Vorstandsschreiben (10.05.1946): „An das Stadtgartenamt Braunschweig“. Ohne Verfasser:in [vermutlich W. Peters]. 2 Seiten. Archiv KGV Mutterkamp. (Vorstandsschreiben Reit-/Fahrweg, 1946)
  • Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
  • Braunschweigisches Landesmuseum (1994): Nationalsozialistische Diktatur in Braunschweig 1930–1945. Museumspädagogisches Materialienheft für Kinder und Jugendliche ab 11 Jahren. Von Wulf Otte. Braunschweig: Braunschweigisches Landesmuseum.