Nr. 079: „die Diebstähle in den Kolonien [werden] auch nachlassen“
„[S]olange die Bevölkerung jetzt nach der Währungsreform kaufen kann“, wird weniger gestohlen werden. So denkt sich das der Vereinsvorstand. Doch nach dem Währungswechsel (Juni 1948) wird die Nachtwache wiedereingeführt (August 1949).
Die neuen Geldscheine der Deutschen Mark (DM) lösten die ruinierte Reichsmark (RM) ab dem 20./21. Juni 1948 in allen drei westlichen Besatzungszonen (Trizone) als alleiniges Zahlungsmittel ab (vgl. Abelshauser 2018, S. 5). Wird daraufhin weniger Tauschhandel betrieben, „verblüht“ der Schwarzmarkt, wird weniger gestohlen? Im KGV Mutterkamp geht man wohl genau davon aus, als man im Juli 1948 protokolliert: „Die Wachen sind in anderen Vereinen schon längere Zeit angesetzt, wir haben uns da noch nicht von leiten lassen und stehen auf dem Standpunkt[,] solange die Bevölkerung jetzt nach der Währungsreform kaufen kann[,] die Diebstähle in den Kolonien auch nachlassen.“ (04.07.1948, PB I, S. 55).
Währungsreform führt (nur) zu „Schaufenstereffekt“?!
Zwar verkauften viele Hersteller und Händler nun vorher gehortete Waren („Schaufenstereffekt“, endende Mangelwirtschaft), aber hohe Preise enttäuschten die Bevölkerung, es herrschte allgemeiner Lohnstopp, hohe Arbeitslosenquote. Half es, dass alle Bürgerinnen und Bürger in bar 40 DM „Sofortausstattung“ („Kopfgeld“; inflationsbereinigt etwa 116 Euro im Jahr 2023) für den Neuanfang erhielten? Barbestände erhielten auch öffentliche Hand und Wirtschaft. Als das neue Geld eingeführt wurde, kam dies also nicht allen Menschen zugute.
Generalstreik im November 1948 – „gegen ,Wirtschaftspolitik der Volksausbeutung‘“
Der Einführung waren jedoch die „ersten Schritte in die Marktwirtschaft“ gefolgt, die nachzuvollziehen und zusammenzufassen an dieser Stelle viel zu weit führen würde. Diese Schritte hielt man angesichts der massiven Teuerungen jedenfalls für gescheitert (vgl. Sudrow 2018, S. 14 f.). Im November 1948 kam es deshalb zum ersten und bisher einzigen Generalstreik der westdeutschen Nachkriegsgeschichte – „[m]an verlangte eine gerechtere Verteilung der Kriegsfolgelasten und einen gerechteren Anteil an den produzierten Gütern; sei es über niedrigere Preise oder höhere Löhne.“ (Sudrow 2018, S. 15; vgl. Abelshauser 2018, S. 5; vgl. Biegel 2020, S. 2).
Ab Anfang 1949 begann sich jedoch die wirtschaftliche Lage generell zu stabilisieren, im März 1949 wurde die DM auch in den drei Westsektoren Berlins eingeführt, das Grundgesetz wurde im Mai 1949 verabschiedet (vgl. Sudrow 2018, S. 16). Im Juni 1949 ist (dennoch) im Protokollbuch zu lesen: „Ein Gartenfest soll in diesem Jahr nicht stattfinden, denn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Einzelnen können dieses nicht zulassen.“ (Erweiterte Vorstandssitzung 27.06.1949, PB I, S. 62–63, hier S. 62)
1947: 100-%-Teilnahme an der Wache – 1948: nur 82-%-Teilnahme
Der Währungswechsel macht den Bedarf an Gartenwachen im August 1949 also nicht verzichtbar: „Es wurde Einigung darüber erziehlt, dass die Wache am Sonnabend, den 13.8.49[,] wieder eingeführt und jeweils von 6 Gartenfreunden bezw. Gartenfreundinnen durchgeführt wird. Wachzeiten sind von 21 Uhr bis 6 Uhr und mittags von 12-14 Uhr. Zu den Tageswachen sollen, wie in Vorjahr, die älteren Gf. herangezogen werden, denen keine Nachtwachen zugemutet werden können.“ (Erweiterte Vorstandssitzung 07.08.1949, PB I, S. 64)
Der KGV Mutterkamp führt eine Statistik: „Gartenfrd. Kibbat gibt den Wachbericht von 1948 bekannt und kann nur feststellen das nicht wie im Jahr 1947 eine 100 % Wache war sondern nur eine 82 % Beteiligung.“ (29.01.1949, PB I, S. 58–61, hier S. 58).
Quellen:
- Abelshauser, Werner (2018): Wunder gibt es immer wieder. Mythos Wirtschaftswunder. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ). 68. Jg. Nr. 27, 4–10. Online: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/271677/wunder-gibt-es-immer-wieder/ oder: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2018-27_online.pdf
- Sudrow, Anne (2018): Kleine Ereignisgeschichte der Währungsreform 1948. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ). 68. Jg. Nr. 27, S. 11–16. Online: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/271679/kleine-ereignisgeschichte-der-waehrungsreform-1948/ oder: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2018-27_online.pdf [17.12.2023]
- Biegel, Gerd (2020): 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nachkriegsnöte und Proteste – ein Land und eine Stadt auf dem Weg zum demokratischen Neuanfang. Ein Essay. Folge 1. Online: https://www.tu-braunschweig.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=111291&token=9d2c376121eeac11ab555dd5442f2f30fcf65afe [16.12.2023]
- Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)