Nr. 078: Wache nachts von 21 bis 6 Uhr und mittags von 12 bis 14 Uhr
Wachdienst ist damalige Gemeinschaftsarbeit. Älteren Gartenfreundinnen und Gartenfreunden werden keine Nachtwachen zugemutet – alleinstehende berufstätige Frauen werden besonders entlastet.
Im Frühjahr 1945 war die deutsche Wirtschaft zusammengebrochen. Im Mai 1945 benannte eine Stadtverordnetenversammlung der Alliierten die „Stadt des KDF-Wagens“ in „Wolfsburg“ um (Biegel 2020, S. 19). Die Siegermächte beabsichtigten, ihre eigene Wirtschaft zulasten der besiegten wirtschaftlichen Großmacht zu stabilisieren. Sie demontierten vorhandene Produktionsanlagen, erlaubten Produktion nur so weit, wie sie ihnen selbst direkt zugutekam und teilten die potenziellen Märkte Deutschlands unter sich auf. Anfang 1947 kam es zu einem Kurswechsel, als die US-Regierung Westeuropa nicht länger zulasten, sondern mithilfe des deutschen Wirtschaftspotenzials stabilisieren wollte. Im Herbst 1947 begann ein Wirtschaftsaufschwung (vgl. Abelshauser, S. 4 f.)
Beschuldigter Gartenfreund, zugleich Vereinskantinenwirt, verteidigt sich – „verlangt Genugtuung“ von Vereinsöffentlichkeit
Die Chronik in der Version von 1960 erzählt etwas von der damaligen chaotischen Lage: „Laufende Diebstähle in der Kolonie erfordern die Einrichtung einer ständigen Gartenwache, die noch bis weit in die Nachkriegszeit tätig bleibt und dabei doch recht unbeliebt ist.“ Der Wachdienst ist kein begehrtes (Ehren-)Amt und muss sich z. B. mit dem Thema „Richtwege“ befassen – ein veraltender Ausdruck für einen „abkürzenden Fußweg“. Z. B. Gartenfreund X wurde gesehen, „das[s] derselbe Richtweg von einem Garten in den anderen gemacht hat.“ Nicht nur der Vereinsvorstand bespricht „den Fall“, sondern er wird offen in der Mitgliedervollversammlung besprochen, denn „der beschuldigte „Gartenfrd. [Nachname X] verlangte Genugtuung von der Öffentlichkeit, Gartenfrd. [Nachname X] schildert dann die Angelegenheit und bedauert, daß er sich dieses zu Schulden kommen lassen hat, aber auch Unstimmigkeiten gegenüber der Frau [Nachname Y] u. [Nachname Z] haben sich ergeben.“ (19.08.1946, PB I, S. 42–44, hier S. 42)
Sachlage: Es ist schwer für die Wache.
Kein leichter Fall. Man solle die Wachen personell verstärken, besagter Gfr. solle Vereinsmitglied bleiben dürfen, doch „durch sein Verschulden [hätte] er als Kantinenwirt sein Vertrauen eingebüßt“ und er hätte sich (aber) um das Wohlergehen der Kantine manche Stunde verdient gemacht; besagter Gfr. sei doch befreundet mit demjenigen Gfr., durch dessen Garten er eine Abkürzung genommen habe, man solle also „die Angelegenheit nicht allzu sehr ins Ernsthafte […] ziehen“, das Misstrauen solle doch aufhören, obwohl (freilich) klar sei, „daß niemand in fremden Garten was zu suchen hätte“ … (vgl. 19.08.1946, PB I, S. 42–44, hier S. 42)
Vereinsplatz und Wege in Ordnung bringen – „Wachfaule“ sollen bevorzugt werden!
„Dann sprach Gartenfrd. Kortegast [Nr. 21] über die Angelegenheit[,] die sehr bedauerlich sei, es ändert nichts an der Sachlage[,] daß es schwer für die Wache sei und leider die deutschen Volksgenossen und gute Nachbarn die Diebe seien, er von seiner Seite könne den Fall nicht durchgehen lassen und wäre für Absetzung des Gartenfrd. [Nachname X], stellt aber den Antrag für Abstimmung der Mitglieder.“ (19.08.1946, PB I, S. 42–44, hier S. 42)
„Wachfaule“ werden nicht (!) namentlich denunziert.
Die Protokollbücher bezeichnen diejenigen Kleingärtnernden, die vermeiden, den Wachtdienst abzuleisten, ironisch-spitz als „Wachfaule“. Dabei fallen keine Personennamen, es wird also nicht mehr denunziert: „Der Vereinsplatz und Wege sollen im Pflichtdienst in Ordnung gebracht werden, die Wachfaulen sollen in dieser Hinsicht bevorzugt werden, die Handwerker und solche Gartenfrde. die sich freiwillig zur Arbeit gestellt haben[,] sollen berücksichtigt werden, dann kann sich kein Gartenfrd. beleidigt fühlen und weiß Bescheid[,] warum die Bevorzugung im Pflichtdienst ist“ (Erweiterte Vorstandssitzung 27.06.1949, PB I, S. 62–63, hier S. 62).
Quellen:
- Biegel, Gerd (2020): 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nachkriegsnöte und Proteste – ein Land und eine Stadt auf dem Weg zum demokratischen Neuanfang. Ein Essay. Folge 1. Online: https://www.tu-braunschweig.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=111291&token=9d2c376121eeac11ab555dd5442f2f30fcf65afe [16.12.2023]
- Abelshauser, Werner (2018): Wunder gibt es immer wieder. Mythos Wirtschaftswunder. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ). 68. Jg. Nr. 27, 4–10. Online: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/271677/wunder-gibt-es-immer-wieder/ oder: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2018-27_online.pdf
- Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)