Nr. 076: Februar 1946: Hochwasser in der Stadt
„Zweigleisige“ Stadtverwaltung nach britischem Vorbild – „Verwaltungschef“ (Oberstadtdirektor) und/neben „Regierungschef“ (Oberbürgermeister) – Im November 1946: Land Niedersachsen mit Hauptstadt Hannover gebildet
Im Februar 1946 versammeln sich die Kleingärtnernden der ehemaligen „Zelle II (Mutterkamp)“ – für den 9./10. Februar 1946 notiert die Stadtchronik: „Gewaltiges Hochwasser in der Stadt“ (Stadt Braunschweig 2023d). Die Kleingärtnernden wollen die „Wiederzulassung“ ihres Vereins erwirken: „Nach eingehender Besprechung wird der Termin, da sämtliche Mitglieder neu eingetragen werden müssen, der 10. März [1946] festgesetzt und unter dem alten Verein Mutterkamp neu angemeldet.“ (24.02.1946, PB I, S. 39–40, hier S. 39) Nach der Neuwahl des Gesamtvorstandes ist tatsächlich wieder bewusst vom „I. Vors.“ die Rede, nicht mehr von einem „Vereinsführer“: „1. Vorsitzender Herr Gramann schließt die Versammlung 11:45 mit einem ,Gut Grün‘ und bittet die Mitglieder, dem neuen Vorstand das Arbeiten durch gegenseitiges Vertrauen zu erleichtern.“ (24.02.1946, PB I, S. 39–40, hier S. 40)
Keine Personalunion mehr, sondern „Zweigleisigkeit“ nach britischem Vorbild – „Verwaltungschef“ (Oberstadtdirektor) und „Regierungschef“ (Oberbürgermeister)
Die britische Militärregierung verordnete „Zweigleisigkeit“: Seit Juli 1946 gab es neben einem Oberbürgermeister, Dr. E. Böhme, dem 1949 O. Bennemann im Amt folgte, einen Ersten Oberstadtdirektor, E. W. Lotz. Im September/Oktober 1946 fanden erste demokratische Wahlen der Stadtvertretung statt, nämlich Kommunalwahlen (Kreiswahlen); die SPD gewann mit absoluter Mehrheit. Doch Braunschweig stellte nurmehr Hauptsitz eines niedersächsischen Verwaltungsbezirks dar, denn das Land Niedersachsen mit der Hauptstadt Hannover wurde im November 1946 aus den Ländern Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und der preußischen Provinz Hannover gebildet. Der bisherige hannoveranische Ministerpräsident, H. W. Kopf, wurde erster niedersächsischer Ministerpräsident, nachdem die erste Landtagswahl im April 1947 stattfand (vgl. Hauptmeyer 2004, S. 115–132; vgl. Biegel 2020, S. 1–22).
Schon seit Anfang 1945 staut sich „Flüchtlingsstrom“ aus dem Osten – macht ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus – Braunschweig an Zonengrenze gelegen.
„Sonnenblumen sollen im nächsten Jahr gesammelt werden zwecks Oelgewinnung.“ (06.09.1947, PB I, S. 48) Dieser Satz aus einem Vereinsprotokoll von 1947 passt zum gesellschaftlich-zeithistorischen Kontext: „Flüchtlingselend, Hunger und Wohnungszwangsbewirtschaftung kennzeichneten die Situation.“ (Biegel 2020, S. 12) Wie wird sich die „Hoffnungslosigkeit der deutschen Zusammenbruchsgesellschaft“ (Abelshauser 2018, S. 4) integrieren lassen? Im Großraum Braunschweig lebten 1939 rund 690.000 Menschen. Diese Zahl stieg 1946 aufgrund der Evakuierung und der Flüchtlings- und Vertriebenenströme aus den deutschen „Ostgebieten“, unter russische und polnische Verwaltung gestellt, auf etwa 990.000 Menschen an, also um ca. 43 % (vgl. Biegel 2020, S.19 f.).
Quellen:
- Stadt Braunschweig (2023d): Stadtchronik Braunschweig. Die Chronik bietet Ihnen Einträge zu politisch, kulturell und wirtschaftlich bedeutsamen Ereignissen und Personen, die einen Überblick zur Stadtgeschichte geben. Online: https://www.braunschweig.de/leben/stadtportraet/geschichte/stadtchronik.php?id4=1946 [15.12.2023]
- Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
- Hauptmeyer, Carl-Hans (2004): Niedersachsen. Landesgeschichte und historische Regionalentwicklung im Überblick. Hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung (NLPB). Oldenburg: Isensee. Online: https://www.niedersachsen.de/download/13404/Niedersachsen_-_Landesgeschichte_und_historische_Regionalentwicklung_im_Ueberblick.pdf [15.12.2023]
- Biegel, Gerd (2020): 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nachkriegsnöte und Proteste – ein Land und eine Stadt auf dem Weg zum demokratischen Neuanfang. Ein Essay. Folge 1. Online: https://www.tu-braunschweig.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=111291&token=9d2c376121eeac11ab555dd5442f2f30fcf65afe [16.12.2023]
- Abelshauser, Werner (2018): Wunder gibt es immer wieder. Mythos Wirtschaftswunder. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ). 68. Jg. Nr. 27, 4–10. Online: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/271677/wunder-gibt-es-immer-wieder/ oder: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2018-27_online.pdf