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Nr. 075: Vom „Vergessen-Wollen der ursprünglichen Nutzung“

Nr. 075: Vom „Vergessen-Wollen der ursprünglichen Nutzung“

Was sind Kulturdenkmäler? Zunächst Inventarisierung, dann Bewertung. Teilgesprengter Beobachtungsbunker wird zur Aussichtsplattform entwickelt. – Im Februar 1946 die Wieder-Gründungsversammlung: „Sie können ab sofort … die Vereinstätigkeit aufnehmen.“

Denkmalpflege hat die Aufgabe zu fragen: Was können uns Bürgerinnen und Bürger solcherlei Anlagen heute noch sagen? „Viele dieser Objekte sind bis heute erhalten, wobei ihr Zustand in der Regel von einem Vergessen-Wollen der ursprünglichen Nutzung geprägt ist.“ (Schomann 2014, S. 78) Stellen solcherlei Objekte Kulturdenkmäler dar, weil sie die Phase der NS-Zeit geschichtlich bezeugen? Erfüllt die Ruine der Braunschweiger Thingstätte die Voraussetzungen des 1979 in Kraft getretenen niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes, um auf dieser Basis als Kulturdenkmal bewertet zu werden?

Der „Urkundsbeamte“ des Braunschweiger Amtsgericht beurkundet und beglaubigt, dass der „Kleingartenverein Mutterkamp e.V.“ sich am 29. Januar 1949 eine Satzung gegeben hat und nun ein eingetragener Verein mit Vorsitzenden, einem Kassierer, Schriftführer und Gartenwart ist. Chef der Polizei / Stadtpolizei Braunschweig (25.03.1946): „Betr.: Wiederzulassung des Kleingärtnervereins ,Mutterkamp‘. Bezug: Ihr Schreiben vom 6.3.46.“ Vorlage. Typoskript. 1 Seite. Stadtarchiv Braunschweig. Sign. E 32,1 Nr. 341.17 (A3-941/56 33/46). (Vorlage Genehmigung Vereinswiederzulassung, 1946) Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

Zunächst das Objekt inventarisieren …

In den 1980er Jahren wurde sie wohl ganz allgemein inventarisiert, wobei es grundsätzlich schwieriger ist, „gestaltete Freiräume“ in eine Denkmalliste aufzunehmen und als erhaltenswert einzustufen. Bei „historischen Freiräumen“ sind eben weniger bau- und kunsthistorische Gründe ausschlaggebend als bei Gebäuden oder Gebäudegruppen (vgl. Schomann 2014, S. 78). 1996 beschreibt die Stadt Braunschweig den Thingplatz zwar in ihrer Denkmaltopografie: „[h]eute überwuchert“ (Stadt Braunschweig 2001, S. 47), „die Reste der dreiviertelkreisförmigen Sitzreihen und des Bühnenaufbaus [sind] noch als zwischen wucherndem Unterholz und hohen Bäumen erkennbar“ (Schomann 2014, S. 80). Die Stadtdenkmalpflege bewertet (bislang) nicht die Denkmaleigenschaft der Anlage, geht (bislang) nicht darauf ein, ob die Thingstätte die Anforderungen an ein Baudenkmal erfüllt. Oder?!

… und dann bewerten: Erfüllt das Objekt die Anforderungen an ein Baudenkmal?

Nach der NS-Zeit und nachdem der Zweite Weltkrieg geendet hatte, wurden die Zugänge zum Luftschutzstollensystem und die Eingänge zum Polizei- und Parteistollen vermauert. Gesteinseinbrüche und hereingebrochenes Erdreich blockierte die Wege, die Stollen brachen ein. „Britische Pioniere“ sprengten im Mai 1948 den Beobachtungsbunker auseinander, dessen hinterer östlicher Teil zerbrach. 1959 fand eine Trümmerräumung statt, 1979 erfolgte ein heller Putzanstrich und eine Wendeltreppe wurde angefügt – eine Aussichtsplattform entstand (Ernst 2006, S. 156, S. 165).

Die ersten 100 Jahre der Verbandsgeschichte des deutschen Kleingartenwesens hat Catharina Paetzelt 2021 für den Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V. (BDG) zusammengetragen (Buch links), nachdem der BDG anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung des Reichsverbands der Kleingartenvereine Deutschlands bereits 1996 folgendes Werk herausgegeben hatte: „Kleingärten und Kleingärtner im 19. und 20. Jahrhundert. Bilder und Dokumente“. Die Autoren sind Günter Katsch und Johann B. Walz (Buch rechts - beide Schriften sind im Archiv des KGV Mutterkamp e. V. einsehbar). Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

(Wieder-)Gründungsversammlung am 25. Februar 1946 am „Versammlungsort-Vereinsheim!“ – neuer Gesamtvorstand – Dank an die zuvor Engagierten/Aktiven

Wie gesagt, im Juni 1945 hatte die britische Militärregierung verordnet, die „Parzelle Nußberg“ aufzulösen. Alle Varianten der Chronik nach 1960, also die Versionen 1985, 1995, 2005, 2010, 2015, schreiben: Erstmals wurde [am 25. Februar] 1946 ein Vorstand gewählt, Heinrich Gramann konnte die meisten Stimmen auf sich vereinen und wurde nicht „Vereinsführer“ wie bisher, sondern 1. Vorsitzender. Diese Gründungsversammlung schloß nicht mit einem „[…] auf den Führer“, sondern mit „Gut Grün“.

Doch der Begriff „Vereinsführer“ taucht im Versammlungsprotokoll vom 24. Februar 1946 (schon noch) auf, als der Amtierende nämlich alle Anwesenden zunächst begrüßt – deren Anzahl ist übrigens (leider) nicht festgehalten: „Der Vereinsführer, Gartenfrd. Herr Glaser, eröffnete um 10:15 die Versammlung.“ (24.02.1946, PB I, S. 39–40, hier S. 39) Gründlich notiert: „Versammlungsort-Vereinsheim!“ Und man war froh, dass sich Gfr. Glaser von Garten-Nr. 117 seit Mai 1938 als zweiter Vorsitzender und von 1939 bis 1946 als erster Vorstand engagiert hatte: „Gartenfrd. Koch dankte in wohlwollender Weise durch Erheben von den Sitzplätzen dem Gartenfrd. Glaser für geleistete Arbeit innerhalb des Vereins.“ (24.02.1946, PB I, S. 39–40, hier S. 40)

Quellen:

  • Schomann, Rainer (2014): Freilichtbühnen, Thing- und Weihestätten in Niedersachsen. In: Unter der GrasNarbe. Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema. Hrsg. von Rainer Schomann, Michael Heinrich Schormann, Stefan Winghart, Joachim Wolschke-Bulmahn. Tagung 2014. S. 77–82. Online: https://www.cgl.uni-hannover.de/fileadmin/cgl/Forschung/Publikationen/Broschueren/Broschu__re__Unter_der_GrasNarbe_.pdf [15.12.2023]
  • Stadt Braunschweig (2001): Konzept zur Planung, Errichtung und Gestaltung städtischer Erinnerungsstätten zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Von Anja Hesse und Stefanie Middendorf. Online: https://www.braunschweig.de/kultur/erinnerungskultur/GedenkKonzept_2010-04.pdf [15.12.2023]
  • Ernst, Wolfgang (2006): ÜberLebensorte – Bunker in Braunschweig von der Planung bis zur Gegenwart. Braunschweig: Appelhans.
  • Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)