Nr. 074: Beitrag der Kleingärten zur Versorgung mit Nahrung nach 1945
Auf dem Sportplatz im Prinzenpark pflanzt die Bevölkerung – nach dem Krieg tragen Kleingärten (noch länger) zur Ernährung bei. Der Thingplatz wuchert zu. Der Rest des gesprengten Beobachtungsbunkers wird spätestens 1979 zur Aussichtsplattform.
Die Braunschweiger Bevölkerung betrieb in den damaligen problematischen Verhältnissen gleichfalls „Ackerbau“, und zwar auf dem Gelände des Sportvereins „Freie Turner“ im „Prinzenpark-Stadion“: „Auf dem sogenannten B-Platz befanden sich zu dieser Zeit [1947], wie auch in anderen Parkbereichen, Kleingärten, die während des [Zweiten Welt-]Krieges angelegt wurden, um die Bevölkerung mit Gemüse versorgen zu können.“ (Warnecke 2006, S. 89) Möglicherweise geschah dies im Zuge von sog. „Brachlandaktionen“. Um aus einer Publikation des Bundesverbands der Kleingartenvereine Deutschlands e. V. erneut zu zitieren, der die damalige politisch-gesellschaftliche Lage rundum verständlich zu machen weiß: „Der Beitrag der Kleingärten zur Versorgung der Bevölkerung war durch die Kriegsereignisse in einem gewissen Maße zu einer Existenzfrage des Staates geworden. Außerdem dienten die Lauben auf den Gärten vielen ausgebombten Menschen in den Städten als Notunterkunft und waren damit unzähligen vom Luftkrieg heimgesuchten Menschen oft zur einzigen Überlebensmöglichkeit geworden.“ (BDG 1996, S. 48)
Lauben als Notunterkunft und …
In den Protokollbüchern des KGV Mutterkamp bildet sich dies ganz konkret ab, denn (noch) am 11. August 1951 diskutieren die Kleingärtnernden unter Punkt 2 der Tagesordnung Folgendes: „Vermietungen von Gartenlauben oder Teile davon gegen Entgeld.“ Die Details lesen sich so: „Zu 2: Gartenfreund Berger [Nr. ?] vermietet Teile seiner Gartenlaube zu hohen Mietpreis, der den heutigen Verhältnissen nicht entspricht. Der Verein hat bislang vom Vermieter sowie Mieter kein Ersatz für die Benutzung der Garteneinrichtungen erhalten. Nach längerer Debatte wurde die Angelegenheit dem erweiterten Vorstand überwiesen mit dem Hinweis[,] G.Fr. Berger zur Vorstandssitzung zu laden, die auf den 14. 8. 51 festgesetzt wurde.“ (11.08.1951, PB I, S. 89–90, hier S. 89)
… als Vermietungsobjekt
Und wie verläuft die erweiterte Vorstandssitzung vom 14. August 1951? „Gartenfr. Berger u Ehefrau sowie Mieter Ruttau waren zur Sitzung erschienen. Der Familie Berger wurde der hohe Mietpreis vorgehalten u. anheim gegeben[,] ihn zu reduzieren. Auch habe Berger an den Gartenverein eine kleine Entschädigung für Abnutzung der Garteneinrichtungen zu zahlen. Vom erweiterten Vorstand wurde vorgeschlagen, daß Berger für die vermieteten Räume an Ruttau den Betrag von 10 DM monatl. nehmen kann u hiervon an den Verein 0,50 DM für die Abnützung für die Rückwirkende-Zeit [ab April 1949], also bis zum 1 August [1951], insgesamt 2 Jahre, den Betrag von 12 DM und zwar bis spätestens 31.12.51 nachzuzahlen. Dieser Vorschlag wurde von der Familie anerkannt u. versprach ihn so auszuführen. Wassermann, I. Schriftführer“ (14.08.1951, PB I, S. 91)
„Vergessen-Wollen der ursprünglichen Nutzung“: „Objekte von ,Unkultur‘“
Der Thingplatz auf dem Nussberg wurde im August 1935 eröffnet – wenige Monate später, nachdem die „Musterkolonie Mutterkamp“ im März 1935 gegründet worden war. Diese Freilichtbühne hatte übrigens auch die „Freilichtspielbewegung“ als solche geschluckt, „die sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts insbesondere in Südniedersachsen ausbildete“ (Schomann 2014, S. 77). Das Amphitheater war demnach nicht „nur“ eine der „Stätten zur Beweihräucherung nationalsozialistischen Gedankenguts, vor allem aber der Selbstdarstellung“ (Schomann 2014, S. 77).
Im Laufe der Jahrzehnte verfiel die Thingstätte auf dem Nussberg, wurde überwuchert und zum heutigen „Hexenkessel“ für Bikerinnen, BMX-Fahrer und (seltener werdende) Rodlerinnen und Rodler. Die Denkmalpflege beschäftigt sich immer wieder damit, derartige „Objekte von ,Unkultur‘“ (Schomann 2014, S. 78) immer wieder neu hinsichtlich ihrer Denkmaleigenschaft zu bewerten, denn Maßstäbe und Auffassungen sind veränderlich und verändern sich tatsächlich.
Quellen:
- Warnecke, Burchardt (2006b): Der Braunschweiger Nußberg und seine Umgebung. Ein Stück Stadtgeschichte aus dem Osten der Stadt Braunschweig. 10. Aufl. Braunschweig: Appelhans.
- BDG / Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. (1996) (Hrsg.): Kleingärten und Kleingärtner im 19. und 20. Jahrhundert. Bilder und Dokumente. Von Günter Katsch und Johann B. Walz. Herausgegeben vom Bundesverband Deutscher Gartenfreunde anläßlich des 75. Jahrestages der Gründung des Reichsverbandes der Kleingartenvereine Deutschlands 1921. 2. Aufl. Leipzig.
- Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
- Schomann, Rainer (2014): Freilichtbühnen, Thing- und Weihestätten in Niedersachsen. In: Unter der GrasNarbe. Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema. Hrsg. von Rainer Schomann, Michael Heinrich Schormann, Stefan Winghart, Joachim Wolschke-Bulmahn. Tagung 2014. S. 77–82. Online: https://www.cgl.uni-hannover.de/fileadmin/cgl/Forschung/Publikationen/Broschueren/Broschu__re__Unter_der_GrasNarbe_.pdf [15.12.2023]