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Nr. 066: „über die Dauer der unsrigen Kolonie im besonderen“

Nr. 066: „über die Dauer der unsrigen Kolonie im besonderen“

Zwar steht im Mai 1938 die erste Hälfte der Finanzierung der Vereinskantine, aber Gerüchte gehen um: Die politischen Akteure und die Verwaltung rütteln an der „Dauer der Kolonien im allgemeinen“. Die oberen zwei Reihen des KGV Mutterkamp müssen „mit ziemlicher Bestimmtheit“ weichen.

Im Mai 1938 scheint die Hälfte der Kosten für ein Vereinsheim gedeckt zu sein. Folgendes ist protokolliert: „Bau des Vereinshauses: Der Vereinsführer spricht als Einleitung zu diesem Punkte der Tagesordnung einige Worte über die Dauer der Kolonien im allgemeinen und der unsrigen im besonderen. Er legt dann den Finanzierungsplan klar, nach welchem die 1. Hälfte des Baugeldes schon sichergestellt & die 2. Hälfte zu erwarten ist.“ (12.05.1938, PB I, S. 22–23, hier S. 22, unterstrichen im Original) Der Vereinsvorstand traf sich am 21. April 1939, um die Jahresversammlung am 2. Mai 1939 vorzubereiten. Dieser Zusatz verwundert nicht, wenn man erfährt, welch harten Tobak die Jahresversammlung enthalten sollte.

Zwar gab es im Land Braunschweig seit 1930 bereits die NSDAP in der Regierung, doch der Landtag übte noch eine Kontrollfunktion aus. Mit der Gleichschaltung des Landtags und der Stadtverordnetenversammlung am 13. April 1933 wurden die Gemeinden dann ihrer bäuerlichen Eigenständigkeit (Selbstverwaltungsorgane der Vororte) beraubt, indem die Eingemeindung per Gesetz am 27. März 1934 verfügt wurde. Zum 27. März 1934 wurde Gliesmarode und somit auch das Fricke’sche Gelände eingemeindet. Friedrich Loepers wurde zum Reichsstatthalter in Braunschweig und Anhalt ernannt. Die drei übereinandergelegt fotografierten Karten zeigen, wie sich die Stadtgrenze verschoben hat. Der Plan ganz links (Signatur 3.63) zeigt den Verlauf der Stadtgrenze vom 01. April 1934 bis 31. März 1936, das Fricke’sche Gelände ist nicht mehr Gliesmaroder Gebiet, sondern als Gebiet der Stadt Braunschweig orange eingefärbt. Auf dem Plan 3.61 in der Mitte – Verlauf der Stadtgrenze vom 01. April 1931 bis 31. März 1934 – sticht das trapezförmige Gelände des vormaligen „Schrebergartenvereins Heinrichstraße“ gut erkennbar hervor. Ebenso auf der Karte ganz rechts, die den Verlauf der Stadtgrenze vom 22. Mai 1925 bis 31. März 1931 zeigt (Karte 3.60). Foto: Stadtarchiv Braunschweig: Atlas „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“, 3.60, 3.61, 3.62
Die oberste Reihe an Parzellen des 1935 zum Ausgleich gegründeten Vereins Mutterkamp musste nicht (schon wieder) verschwinden. Das wären die Gärten Nr. 1, 26, 27, 49, 50, 70, 71, 89, 90, 103, 104, 117 gewesen. Auch die zweite Reihe blieb verschont, also die Gärten Nr. 2, 25, 28, 48, 51, 69, 72, 88, 91, 102, 105, 116. Lageplan „Lageplan der Kleingarten Kolonie Mutterkamp (Stand vom 1. Mai 1946)“. Stadtarchiv Braunschweig. Signatur AVII 5. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

Gerüchte – „Die Verlagerung der Industriezentren war nicht vorherzusehen“.

Es lohnt sich, die Niederschrift komplett zu zitieren: „Im Vordergrunde des Interesses steht die Frage nach der Zukunft der Kolonie, und das hin und her der Gerüchte erregt seit längerer Zeit die Gemüter. Vor ca. 6 Wochen hat der Vors. [Gfr. Rünger] eine Unterredung mit dem Oberbürgermeister [W. Hesse] gehabt, dem die Entwicklung selbst leid tut. Die Verlagerung der Industriezentren war nicht vorherzusehen. Dr. Hesse hat aber versprochen, alles zu tun, um möglichst viele Kolonien zu erhalten und als Dauerkolonien auszuweisen, das für Kleingärten bestimmte Land soll von 350 ha auf 750 ha erhöht werden, damit Umsiedlungen vorgenommen werden können, dieses ist bis im Süden und im Westen der Stadt geplant. —“ (02.05.1939, PB I, S. 25–27, hier S. 25)

Die oberen zwei Gartenreihen müssen vermutlich „verschwinden“.

„Was unsere eigene Kolonie anbetrifft, so ist mit ziemlicher Bestimmtheit damit zu rechnen, daß die oberste Reihe verschwindet [Gärten Nr. 1, 26, 27, 49, 50, 70, 71, 89, 90, 103, 104, 117]; inwieweit die zweite [Reihe, also die Gärten Nr. 2, 25, 28, 48, 51, 69, 72, 88, 91, 102, 105, 116] betroffen wird, ist ungewiß. Verbesserungen sind in den Gärten dieser beiden Reihen nicht mehr vorzunehmen, da sie bei Entschädigungen nicht mit berücksichtigt werden. Es besteht die Hoffnung, daß unsere betroffenen G. F. leicht umgesiedelt werden können und daß die Zuweisung neuen Geländes möglichst schnell erfolgt, damit Zeit zur Umsetzung vorhanden ist. Was von unserer Kolonie bestehen bleibt, soll noch in diesem Jahre als Dauerkolonie ausgewiesen werden.“ (02.05.1939, PB I, S. 25–27, hier S. 25)

Das „Braunschweiger Adreßbuch“ verzeichnet 1941 den 1935 gegründeten KGV Mutterkamp (schon) nicht (mehr). Denn 1940 bis 1945 ist der KGV Mutterkamp mit den Gartenvereinen Soolanger und Nußberg zwangsweise zusammengeschlossen. Er heißt jetzt „Parzelle II“ des Gartenvereins Nußberg. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.
1940 bis 1945 ist der KGV Mutterkamp mit den Gartenvereinen Soolanger und Nußberg zwangsweise zusammengeschlossen. Vielleicht erstreckt sich der KGV Nussberg auf der Schadenskarte über das Gelände des KGV Mutterkamp. Leider ist die Karte rechts abgeschnitten, sodass sich nicht verifizieren lässt, ob dort noch eine Eintragung „Gartenverein Mutterkamp E. V.“ zu finden sein könnte. Foto: Stadtarchiv Braunschweig: „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“ (= Atlas 3), Signatur A III 102: Blatt 65-4 (=3.65-4). Blatt 4: Nordosten.

Vertrauen die Kleingärtnernden (noch)? Werden die „Restbestände“ des KGV Mutterkamp (wirklich „noch“ 1939) als „Dauerkolonie“ ausgewiesen werden?

„Wahrscheinlich werden dann Mutterkamp, Nußberg u Soolanger zu einem Verein zusammengelegt werden. Aus diesem Gründe ist auch der Bau des Vereinshauses unterblieben; tritt später eine Beruhigung in der Entwicklung der Dinge ein, so kann das Versäumte nachgeholt werden. Sollte kein Vereinsheim gebaut werden, so soll der freie Platz zu Gärten aufgeteilt werden. Eine Behelfskantine soll einstweilen errichtet werden.“ (02.05.1939, PB I, S. 25–27, hier S. 25 f.) Die Info zur „Behelfskantine“ findet sich wiederum in den Chroniken von 1960, 1985 und 1995: Jedoch wird im Sommer 1939 ein altes Vereinshaus des Gartenvereins Wiesengrund angekauft und zum Vereinsplatz gebracht. Besagter KGV Wiesengrund befindet sich bis heute an der Blumenstraße bei der heutigen Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK), im Gartenvereinsbezirk Wilhelmitor („LVB Wil“).

Quellen:

  • Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)