Nr. 064: „Beifall in der Versammlung“ zum Nein (vorerst) zum Vereinsheim
Obwohl die Kleingärtnernden einen Bauausschuss einrichten, heißt es (noch) „nein danke!“ zur Planung einer Vereinskantine. Dafür entwickelt sich die heutige Ebertallee zur „Prachtstraße“.
Der Gedanke des Baues eines Vereinsheimes soll durch einen im August 1935 bestimmten Bauausschuß erörtert werden, doch lehnen die Gartenfreunde einen Bau ab, so lange noch eine hohe Schuldenlast zu tilgen ist. Bei der Mitgliederversammlung am 13. November 1935 wird festgehalten: „Der Vereinsführer lehnt es ab, sich für den Bau eines Vereinsheimes einzusetzen, solange die laufenden Schulden nicht abgetragen sind. (Beifall in der Versammlung.)“ (13.11.1935, PB I, S. 9–11, hier S. 10) Die Pächterinnen und Pächter der 48 vertretenen Gärten, also 40,68 Prozent aller 118 Gärten, applaudieren dem Vorstand. In den Chroniken von 2005, 2010, 1995 heißt es im Zeitraffer: 1936 wurde das erste Gartenfest in einem Zelt gefeiert. Dort wurde der Gedanke aufgegriffen, ein Vereinsheim zu bauen. Fachleute setzten sich zusammen. Dort heißt es auch: Zwei Jahre später [1937] wird ein Kantinenfonds geschaffen und 1938 wird eine Zeichnung mit Kostenanschlag angefertigt.
Der Landesverband (LV) und der Mutterkamp-Vorstand vereinbaren am 6. Juni 1966 u. a.: Der größere Raum im früheren Vereinsheim steht „für die Zukunft“ der Schreberjugend und der Frauenfachberatung zur Verfügung, diese bekommen je einen Schlüssel, der Vorstand dürfe den Raum jederzeit betreten, und der LV übernimmt die Versicherung für Feuer, Einbruch und Diebstahl. Ausgerechnet am 26. Dezember 1966 gibt es einen Einbruchdiebstahl im Jugendheim. Vereinsvorstand Kahnt meldet wie in einem solchen Fall üblich an den LV, doch laut dessen Versicherungsobmann besteht kein Versicherungsschutz dafür, nur für das Vereinshaus (1. Gebäude). Am 11. Januar 1967 teilt der LV mit, dass das Jugendheim tatsächlich nicht versichert worden sei, „da Ihrerseits das Vertragsverhältnis mit Schreiben vom 19. 9. 66 zum 31. 12. 1966 aufgekündigt worden ist“. Im Juni 1966 war doch vereinbart worden, das Gebäude zu versichern!? Die Schreberjugend und die Frauengruppe „waren an Versicherung nicht interessiert“, schreibt Landesverbandsvorstand Mägde. Die Frauengruppe trifft sich inzwischen im KGV „Im Schapenkamp“ e. V. und die Schreberjugend im KGV „Südstadt“ e. V. Am 7. April 1967 meldet sich dann das städtische Bauordnungsamt: „Wir haben zu unserem Bedauern feststellen müssen, daß Sie unserer Auflage …, nach Fertigstellung des neuen Vereinsheimes das alte Vereinsheim abzubrechen, nicht nachgekommen sind“, schreibt Dr. Hampel, der Städt. Baudirektor. Bis zum 1. Juli 1967 müsse der Abbruch erfolgen, andernfalls würde ein „1. Zwangsgeld[] in Höhe von 100,– DM“ angesetzt. Schon am 13. Juni 1967 kommt das besänftigende „Okay“ von gleicher Stelle, „sofern das Gebäude als Lager und Geräteschuppen genutzt und für die bauliche Sicherheit von Ihnen Sorge getragen wird.“
Lob für die „mustergültige Amtsführung“ des Kassierers. – Und der Kantinenfonds?!
Das Protokoll vom 8. März 1937 enthält Informationen zum Kassenbericht 1936/37: „Die Kasse ist von drei bestimmten Gartenfreunden geprüft und in tadelloser Ordnung befunden. Dem Kassierer wird Entlastung erteilt. Der bisherige Kassierer, Gartenfr. Eber [Nr. 111], tritt auf seinen Antrag von seinem Posten zurück; es wird ihm vom Vereinsführer der Dank für seine mustergültige Amtsführung ausgesprochen. Es entspinnt sich in Anschluß an diesen Punkt eine Aussprache über den Kantinenfond. G. F. Peters bemerkt dazu, daß der Kantinenfond keinesfalls in der Vereinskasse aufgehen darf, da ein Teil des Geldes nicht von den Mitgliedern aufgebracht ist.“ (08.03.1937, PB I, S. 19–21, hier S. 20)
1938: neues Heim?! (gemäß Chroniken 2005, 2010 und 2015)
In den Chroniken 1960, 1985 und 1995 heißt es: Da Reichsbahn und Stadt übereingekommen sind, die Bahnanlagen ostwärts des Nußberges erheblich zu erweitern, besteht die Möglichkeit, daß die ersten beiden Reihen Gärten entlang der Bahn dem Gleis- und Straßenbau weichen müssen, so daß Unruhe in der jungen Gartenkolonie herrscht, und die Gartenfreunde den Plan zum Bau des Vereinsheimes ruhen lassen. Jedoch wird im Sommer 1939 ein altes Vereinshaus des Gartenvereins Wiesengrund angekauft und zum Vereinsplatz gebracht. In aller Stille wird in schwerster Zeit, während des Krieges – [eben daraus, auf der Basis des Behelfsheims, oder?!] –, das erste Vereinsheim geschaffen. Es gibt kein Baumaterial, und doch kennen die tüchtigen Kleingärtner die Mittel, um auf hellen und dunklen Wegen mit List und Tücke an Bauholz, Zement, Kalk und Steine heranzukommen.
1938: („nur“) neu erweitertes altes Vereinsheim (gemäß Chroniken 1960, 1985 und 1995)
Die Chroniken von 2005, 2010 und 2015 verwenden die Begrifflichkeit „neues Vereinsheim“: 1938 konnte schon im neuen Heim gefeiert werden. Das irritiert mich. Man hatte während des Zweiten Weltkriegs „nur“ den 1939 beschafften Behelfsbau durch einen selbst errichteten Bau erweitert. Denn im April 1942 ist protokolliert: „Anerkannt wird der Erweiterungsbau unseres Heimes, welches einen netten Eindruck macht.“ (12.04.1942, PB I, S. 32–34, hier S. 32)
Sowohl die Planungen zur Vereinskantine als auch deren Ausführung werden 1937/38 auf Eis gelegt. Die Quelle Protokollbuch legt also anderes nahe, als die Chroniken von 2005, 2010 und 2015 festhalten: 1938 existiert kein „neues Heim“, sondern „nur“ ein neu erweitertes altes Heim. Dies ist ein feiner Unterschied. Und angesichts der zeithistorischen Rahmenbedingungen allemal zu würdigen.
„Prachtstraße“ verbindet die Institutionen „Luftflottenkommando“ und „Reichsjägerhof“ und …
Und wieder möchte ich ergänzen, was sich jenseits der Gartenpforte ereignet hat. Es spielte sich zeitgleich zu jeglichen Planungen und etwaigen Nichtausführungen der Vereinskantine ab. Wie gesagt war Riddagshausen 1934 nach Braunschweig eingemeindet worden. Zum einen erhält das Riddagshauser Teichgebiet im Jahr 1936 den Schutzstatus „Naturschutzgebiet“, „so daß eine Bebauung nicht mehr möglich war“ (Warnecke 2006, S. 86). Zum anderen weiht am 7./8. November 1937 „Reichsjägermeister“ H. Göring eine direkt am Kreuzteich entlang führende „Prachtstraße“ ein, welche die Institutionen „Luftflottenkommando“ und „Reichsjägerhof“ miteinander verbindet.
… führt direkt am KGV Mutterkamp entlang
Jene „Verbindungsstraße“ ist sogar „für die damalige Zeit sehr großzügig und breit geplant“ (Warnecke 2006, S. 76). Das Konzept der Braunschweiger Nationalsozialisten unter NSDAP-Ministerpräsident D. Klagges, sich die Gunst der Berliner „Reichsführung“ zu sichern und die Gunst Görings zu erwirken, scheint aufzugehen. Nämlich „[a]m 7. November 1937 gab Hermann Göring die Standortentscheidung bekannt“ (Braunschweigische Landschaft 2019, S. 28 f.): In Salzgitter und damit in der Region sollte der Staatskonzern Eisenerzvorkommen abbauen – zwar unrentabel, doch der „Vierjahresplan“ (1936) zielte auf Autarkie ab. Man wollte unabhängig von ausländischen Rohstoffen sein.
Quellen:
- Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
- Warnecke, Burchardt (2006b): Der Braunschweiger Nußberg und seine Umgebung. Ein Stück Stadtgeschichte aus dem Osten der Stadt Braunschweig. 10. Aufl. Braunschweig: Appelhans.
- Die Braunschweigische Landschaft (2019) (Hrsg.): Das Braunschweigische Land im Nationalsozialismus. Ausstellungskatalog. Online: https://www.braunschweigischelandschaft.de/fileadmin/user_upload/bl/news/Heimatpfleger/Nationalsozialismus/711053_BL_Katalog_Web.pdf [04.10.2022]