Nr. 062: Ein Garten in einer „NS-Musterkolonie“ ist „zu teuer“
„Einspruch“! „In sozialer Hinsicht“ kann sich kein „Volksgenosse“ einen Garten in der Musterkolonie leisten. Der Vereinsvorstand „warnt“ vor „gleichartigen Kolonien“.
Gfr. Peters schreibt in seinem Geschäftsbericht, der sich wohl auf die Zeit von Mai 1935 bis Januar 1936 bezieht: „Nach Ablauf des 1ten Geschäftsjahres, das sich nur auf 9 Monate erstreckt, kann angenommen werden, daß die vom Verein geforderten Verpflichtungen erfüllt sind, soweit es sich um die Errichtung und Einrichtung der neuen Garten-Kolonie ,Mutterkamp‘ handelt. Die von den Mitgliedern zu tragenden Kosten [insbesondere für die Außen- und Inneneinzäunung] sind derart hoch, daß davor gewarnt werden muß, gleichartige Kolonien erstehen zu lassen, weil in sozialer Hinsicht den Volksgenossen das Erstehen eines solchen Gartens zu teuer ist. Wir aber wollen das angefangene Werk weiter fördern, so weit es Zeit und Mittel gestatten, um dort wahre Volks-Gemeinschaft […] zu pflegen.“ (1. Geschäftsbericht, 1935, S. 7) Die Bloggerin lässt die zeittypisch-faschistische Grußformel bewusst weg.
Entschädigung für die „erst“ im Oktober 1934 gekündigten Kleingärtnerinnen und Kleingärtner von der Heinrichstraße?!
Der Vorstand der „Musterkolonie Mutterkamp“ betrachtet die Konzeption der eigenen Anlage keineswegs als Erfolgsmodell (Best Practice), das dringend Schule machen sollte. Das Protokollbuch hält am 11. Januar 1936 fest: „In der Aussprache über den Geschäftsbericht [1935] spielt die Frage der Entschädigung für die in der alten Kolonie an der Heinrichstr gekündigten Mitglieder die Hauptrolle. Es wird angeregt, nochmals einen Versuch zu machen, eine Entschädigung zu bekommen für die Mitglieder, die erst am 1. 10. 34 gekündigt sind und kurzfristig räumen mußten.“ (11.01.1936, PB I, S. 12–14, hier S. 12)
Was bedeutet das? Warum der Begriff „erst“? Manchen Kleingärtnernden des KGV Heinrichstraße soll „erst“ im Oktober 1934 gekündigt worden sein. War anderen demnach „schon“ im Frühjahr 1934 gekündigt worden? Also immerhin mit einem Jahr Vorlaufzeit, vielleicht zu Ende April 1935?! „G.-Fr. Rautmann [Nr. 4] regt an, bei der Stadt vorstellig zu werden wegen des Erlasses des Pachtbetrages für die 1. Hälfte des 1. Pachtjahres (bis 1. 10. 1935). Begründung: Die großen Unkosten für die Einrichtung der Gärten.“ (11.01.1936, PB I, S. 12–14, hier S. 14)
Als Echo auf die Nachfrage nach dem Pachtbetrag fällt dieses Schlagwort: „Räumung“ – Wie beständig sind „unsere Gartenkolonien“ überhaupt?!
Die Kosten für die Einzäunungen waren noch nicht beglichen, die Zäune hatten noch gar nicht bezahlt werden können, in Ermangelung finanzieller Mittel, und die Problematik wird über Jahre bei den Versammlungen immerzu erörtert. Man täuscht sich, wenn man annimmt, die Gartenfreundinnen und Gartenfreunde hätten sich jedenfalls grundsätzlich „zurücklehnen“ können, weil ihnen die Gärten ja auf zwölf Jahre verpachtet worden waren – der Begriff „Dauerkolonie“ hatte in den Richtlinien des städtischen Hochbauamts, im Zeitungsartikel der Braunschweigischen Landeszeitung und im Vereinsprotokollbuch gestanden (vgl. Richtlinien 1935, S. 1, BLZ 13.03.1935, Protokoll 17.05.1935, PB I, S. 1). Doch „die Frage nach der Beständigkeit unserer Gartenkolonien“ treibt die Kleingärtnernden um!, wie aus dem Protokoll zur „Mitgliederversammlung v. 12. Febr. 1936 im Stadtpark-Restaurant zu Brschwg.“ hervorgeht. Mit „unsere Gartenkolonien“ sind die Kolonien Mutterkamp, Nußberg und Soolanger im Unterbezirk „Fallersleber Tor“ gemeint.
Quellen:
- Peters, Wilhelm (1935): „ Geschäftsbericht des Gartenvereins ,Mutterkamp‘“. Typoskript. Archiv KGV Mutterkamp. 2 Seiten. (1. Geschäftsbericht, 1935)
- Städtisches Hochbauamt Braunschweig (März 1935): „Richtlinien für die Einrichtung der Kleingärten im Mutterkamp“. 2 Seiten. Archiv KGV Mutterkamp. (Richtlinien 1935)
- Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)