Nr. 060: Hauptwege sind kein „Tummelplatz für die radfahrende Jugend“
„Bockasche“ befestigt die Wege im KGV Mutterkamp. Dasselbe Material setzt die Stadt beim Bau der Sport- und Gartenanlagen an der späteren Kant-Hochschule ein.
Den Chroniken von 1995, 2005, 2010 gelingt es aufgrund des zunehmend größeren zeitlichen Abstands zur Gründung, die Geschehnisse auf das Wesentliche herunterzubrechen. Die Gartenfreunde trafen sich am 17. Mai 1935 im Restaurant „Stadtpark“ zu ihrer ersten Versammlung. Dort wurde beschlossen, dass jedes Mitglied 35,90 RM [ca. 9,60 Euro] für die Außenumzäunung zu zahlen habe. Außerdem mussten innerhalb kürzester Zeit sechs Brunnen gebohrt werden. In vielen Pflichtstunden wurden die Wege mit Bockasche befestigt und die Zäune an den Haupt- und Nebenwegen erstellt. Die ersten Lauben standen.
Es lässt sich (jetzt) klar erkennen, wer wen womit beauftragt hatte (Zaunthema). Und die „Infrastruktur“ kommt zur Sprache – die „Wege A, B, und C“. Wir vergegenwärtigen uns den (undatierten, vermutlich von 1935 stammenden) Lageplan (vgl. Blogbeitrag Urbarmachung und Kultivierung). „Weg A“ verläuft parallel zur Bahnstrecke, „Weg B“ parallel zur Ebertallee, allein „Weg C“ führt quasi als „Wegenetz C“ durch die Kolonie hindurch. Davon zweigen die einzelnen Seitenwege/Gänge ab, ein größerer Abzweig führt zum Vereinsheim und ein größerer Abzweig durch die „Ostzone“ hindurch zurück auf den Weg parallel zur Bahnstrecke. Womit war „Weg C“ befestigt?
Auf der „Aschenbahn“ geht’s rund um den Fußballplatz des Hochschulsportplatzes – gleiches Material wie bei der Berliner Olympiade?!
Bei „Bockasche“ handelt es sich wohl um eine körnige schwarze Schlacke, die wie Sand festgewalzt werden muss – weniger schwer und dadurch weniger stabil als ein Kiesweg. Mit diesem Wissen lässt sich eine Bemerkung vom August 1935 anders einordnen, lässt ihr ein breiteres Verständnis zukommen: „Radfahren wird auf den Hauptwegen gestattet, doch sollen nur dieselbe nicht Tummelplatz für die radfahrende Jugend sein.“ (02.08.1935, PB I, S. 4–6, hier S. 6, unterstrichen im Original) Die gemeinschaftliche Anlage der „Privatwege“ durch die neue Kolonie sind vom Material her „empfindlich“. 1947 wird die Regel neu überdacht: „Beschlossen wurde[,] das Radfahrverbot umzuändern, und die Jugend anzuhalten[,] mehr Rücksicht auf erwachsene Personen in den Wegen zu nehmen.“ (15.06.1947, PB I, S. 47)
Bockasche fand jedenfalls zeitgleich beim Bau von Sport- und Gartenanlagen Verwendung, und zwar beim Bau „prominenter“ Anlagen in Braunschweig: „Östlich an die Gebäudeanlage [der späteren Kant-Hochschule (,Bernhard-Rust-Hochschule‘)] anschließend wurde ab 1936, als Bestandteil der Gesamtplanung, ein Sportplatz angelegt […], bei dessen Einrichtung, wie es in Pressetexten dieser Zeit heißt, ,die Erfahrungen der Olympiade 1936‘ berücksichtigt waren.“ (Mittmann 1993, S. 62) Besagte „Hochschule“, die TH Braunschweig sowie nationalsozialistische Jugendorganisationen wie „Hitlerjugend“ (HJ) und „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) nutzten den Sportplatz bis 1939 gemeinsam. Der beinhaltete über eine Laufstrecke, Tennisanlage, einen Turnplatz, Schießstand und Sprunggruben hinaus „einen Fußballplatz, der von einer Aschenbahn umgeben ist […]. An der Westseite des Gebäudekomplexes existierte kein Zaun. Hier befanden sich mit Natursteinplatten eingefaßte Grünflächen, zwischen denen u. a. breite Wege axial zu den Haupteingängen führten. […] Zur Wegbefestigung benutzte man Bockasche und Grand.“ (Mittmann 1993, S. 62 f.)
Bitumendecke kommt in den 1980er Jahren
Während es in den 1930er, 1940er und 1950er Jahren eben noch um Bockasche ging, hält die Vereinschronik für die Zeit kurz vor dem 50. Vereinsjubiläum 1985 fest und wird dies weiterhin (dankbar) festzuhalten wissen: In Eigenarbeit mit der Unterstützung eines Fachmannes war es uns möglich, alle Wege des Vereins mit einer Bitumendecke zu versehen. Mit dem Fachmann ist Gfr. Peter Voß gemeint (vgl.: Dartsch 2014; Mentasti 2021). Der übernahm 1968 den Garten Nr. 92 von Hedwig Seeliger (vgl. Geschäftsbericht 1968, S. 1). Bis 2019 wirkte er in Garten Nr. 77 (vgl. Blogbeitrag „Schaukeli“).
Quellen:
- Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
- Mittmann, Markus (1993): Nationalsozialistisches Bauen: die „Bernhard-Rust-Hochschule“ in Braunschweig (Kant-Hochschule). Ein nationalsozialistischer Hochschulbau und seine Bezüge zur Architekturgeschichte. Stadtarchiv und Stadtbibliothek Braunschweig. Online: https://leopard.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivate_00022984/Mittmann-Nationalsozialistisches_Bauen.pdf [06.12.2023]
- Dartsch, Katja / BSZ (19.09.2014): „Zur Begrüßung ein Strauß Zwiebeln. Peter und Ingrid Voß füllen mit dem Gemüse aus ihrem Kleingarten die Gefriertruhen der Kinder und Enkel.“ Archiv KGV Mutterkamp. Online: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article151598329/Zur-Begruessung-ein-Strauss-Zwiebeln.html [11.12.2023]
- Mentasti, Karsten / BSZ (10.08.2021): „Braunschweiger Ehepaar feiert diamantene Hochzeit. Es gibt sie tatsächlich – die Liebe auf den ersten Blick. Bei Peter Voß zumindest war das so, als er sich 1960 in seine spätere Frau verliebte.“ Archiv KGV Mutterkamp. Online: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article233006361/Braunschweiger-Ehepaar-feiert-diamantene-Hochzeit.html [11.12.2023]
- Bohnhorst, Hans (1968): „Geschäftsbericht 1968 des Kleingärtnervereins Mutterkamp e. V., Braunschweig“. Archiv KGV Mutterkamp. 3 Seiten. (Geschäftsbericht 1968)