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Nr. 052: Aus dem Redemanuskript anlässlich der Gründungsfeier „20 Jahre Mutterkamp“

Nr. 052: Aus dem Redemanuskript anlässlich der Gründungsfeier „20 Jahre Mutterkamp“

1955 ist die Zeit reif(er) für objektiv-kritischere Töne: Die Kolonie an der Heinrichstraße wurde „mit einem Federstreich ausgelöscht“. Und „selten sind Kleingärtner so rücksichtslos behandelt“ worden von der „federführenden Stelle“.

Das Typoskript „Zur 20-jährigen Gründungsfeier der Gartenkolonie ,Mutterkamp‘!“ erhellt die Zeit vor 1935 ein wenig mehr. Man schreibt objektiv-kritischer als zuvor: „Vor 20 Jahren, im Frühjahr 1935, wurden zwei Kleingarten-Kolonien mit einem Federstreich ausgelöscht. Die eine auf dem Gelände am Bülten, die andere an der verlängerten Heinrichstrasse. Die erste, um einem Sportplatz für die techn. Hochschule Platz zu machen, die andere, um als Baugelände Verwendung zu finden. Für diese Maßnahme hatte sich die federführende Stelle einen Zeitpunkt ausgesucht, der für die Betroffenen alles andere als günstig war. Im Monat März [1935] wurden die Kündigungen zum 1. April [1935] ausgesprochen. Wohl selten sind Kleingärtner so rücksichtslos behandelt [worden], noch dazu – da jeder Widerspruch in damaliger Zeit aussichtslos war.“ (Redemanuskript, 20 Jahre, 1955, S. 1)

Festschrift (1985): Reproduktion der Zeitungsmeldung „Eine neue Kleingarten=Kolonie“ in der Braunschweiger Landeszeitung (BLZ) vom 18. März 1935. „50 Jahre Kleingärtnerverein Mutterkamp e. V. 1935–1985.“ 20 Seiten. Archiv KGV Mutterkamp, zugleich unter Sign. „Brosch. I 40.188“ im Stadtarchiv Braunschweig. (Festschrift 1985) Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

(Noch) Unbekannt – „auf dem Gelände am Bülten“ wurde weitere Gartenkolonie „ausgelöscht“.

Recherchen laufen (bislang) ins Leere. Wo hat sich denn die gleichfalls zwangsenteignete Kolonie „auf dem Gelände am Bülten“ befunden? Oder wo muss sie sich befunden haben? Eine Notiz im Protokoll zur Jahresversammlung vom 12. Februar 1936 löst das Rätsel keineswegs. Im Gegenteil, die Bemerkung irritiert: „Punkt 3. Verschiedenes: Es wird eine Einladung der Kolonie Bülten bekanntgegeben.“ (12.02.1936, PB I, S. 14–16, hier S. 15, unterstrichen im Original) Die enteignete Kolonie „auf dem Gelände am Bülten“ wird mit dem „Gartenverein Bülten, E. V.“ schlicht nicht gemeint sein, denn der „Gartenverein Bülten, E. V.“ taucht ab 1936 im „Braunschweigischen Adreßbuch“ auf (Braunschweigisches Adreßbuch 1936, S. 24): „Vereinsführer: Buchdrucker Wilhelm Grote, Karlstr. 25.“ und bleibt bis 1942, ehe dann sowieso keine Adressbücher mehr erscheinen.

1937 beginnt der Eintrag mit einem Fragezeichen: „? Gartenverein Bülten, E. V. Vereinsführer: Lagerist Hans Junge, Gliesmaroder Str. 85.I“ (Braunschweigisches Adreßbuch 1937, S. 31). Zwischen 1938 und 1942 lautet der „Vereinsführer: Tischler Karl Bierwirth, Karlstr. 36b.“ (Braunschweigisches Adreßbuch 1938, S. 27; 1939, S. 27; 1940, S. 29; 1941, S. 31; 1942, S. 31) 1950 ff. ist der „Kleingärtnerverein Bülten“ im Adressbuch wieder regelmäßig verzeichnet (z. B. Braunschweigisches Adreßbuch 1950, S. 17).

Wo die Kleingärtnernden „in Zukunft wieder Erholung und Erbauung finden“ – „Landesverbandsgruppenführer“ handelt „fürsorglich“.

Das Protokoll vom Februar 1936 hilft nicht zu klären, was mit der Kolonie „auf dem Gelände am Bülten“ geschah. Es führt die „Mischkultur“ des Kleingartenwesens mit der Aktivität der NSDAP in den 1930er Jahren anhand dieser Notiz klar vor Augen: „Alle Veranstaltungen müssen der Ortsgruppe der Partei gemeldet werden zum Zwecke einer engeren Fühlungnahme.“ (12.02.1936, PB I, S. 14–16, hier S. 15)

Zur Rückschau gehört auch, die Grautöne zu sehen. Der Vorstand äußert dem Leiter des damaligen Landesverbands, Dippold, gegenüber „Dankbarkeit“. Dippold schien aus der damaligen Zwangsenteignung „das Beste gemacht“ zu haben, indem er es gewesen sein soll, der die Initiative ergriff, mit dem Stadtrat über Ersatzland zu verhandeln. „Wenn die ergangenen Kündigungen für die Betroffenen im Frühjahr [1935] ein schwerer Schlag war[en], so wurde[n] diese[] dadurch gemildert, daß der damalige Führer des Landesverbandes der Kleingärtner im Lande Braunschweig – Dippold – für Ersatzland gesorgt hatte. Es war ihm gelungen, daß der Rat der Stadt das bislang von der Domäne Riddagshausen bewirtschaftete Gelände nördlich des Nußberges, das die Feldmarksbezeichnung ,Am Mutterkamp‘ führte, für die Betroffenen zur Verfügung gestellt wurde. Diese Fürsorge haben die Betroffenen Dippold ganz besonders gut geschrieben, wußte[n] sie jetzt doch, wo sie in Zukunft wieder Erholung und Erbauung finden konnten.“ (Redemanuskript, 20 Jahre, 1955, S. 1)

6 Antwortpostkarten (1985): Einwerbung von Anzeigen für die als Druck erscheinende Festschrift. „50 Jahre Kleingärtnerverein Mutterkamp e. V. 1935–1985.“ Archiv KGV Mutterkamp e. V. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.
6 Antwortpostkarten (1985): Einwerbung von Anzeigen für die als Druck erscheinende Festschrift. „50 Jahre Kleingärtnerverein Mutterkamp e. V. 1935–1985.“ Archiv KGV Mutterkamp e. V. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.
Aktenordner (1985): „50 Jahre Kleingärtnerverein Mutterkamp e. V. 1935–1985.“ Archiv KGV Mutterkamp e. V. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.
Aktenordner (1985): „50 Jahre Kleingärtnerverein Mutterkamp e. V. 1935–1985.“ Archiv KGV Mutterkamp e. V. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.

„Landesgruppenführer Dippold ist von dieser Eingabe unterrichtet“

Ehe Vereinsvorstand Richard Geibel am 23. April 1934 seinen Klagebrief an den Oberbürgermeister Hesse schickte, muss er sich zunächst an den für den Gartenverein zuständigen Ansprechpartner gewandt haben. Damit ist Eberhard Dippold gemeint, Führer der „Landesgruppe Braunschweig im Reichsbunde der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V.“. Auf diese Weise hat Geibel die vorgeschriebene hierarchische Struktur eingehalten: „Der Landesgruppenführer Dippold ist von dieser Eingabe unterrichtet. Hundertfünfzig Kleingärtner, die sich durch jahrzehntelange Arbeit mit ihrem Stückchen Land verwachsen fühlen, bitten durch mich, eine Klärung herbeizuführen.“ (Rückfrage zur Kündigung und Bitte um Ausgleichsfläche, April 1934, S. 2)

Womöglich hat Dippold den Tipp gegeben, die Stadtverwaltung „proaktiv“ um eine Ausgleichsfläche zu bitten: „Eins möchten wir Kleingärtner aber noch zum Ausdruck bringen: Sollte nämlich nach sachlicher Prüfung unseres Anliegens doch eine demnächstige Bebauung geplant sein, dann bitten wir um Zuweisung eines Stück Landes, das geschützt ist vor der Bebauung, denn das Nomadenleben des Kleingärtners ist untragbar und entfremdet ihn von seiner Verbundenheit zur Scholle. Darf ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor, höflich und inständig bitten, recht bald einzugreifen. Meine Gartenfreunde werden es Ihnen danken. …“ (vgl. Rückfrage zur Kündigung und Bitte um Ausgleichsfläche, April 1934, S. 3)

Quellen: