Menü Schließen

Nr. 037: „Die Kolonie muß jedoch ein einheitliches Bild zeigen“.

Nr. 037: „Die Kolonie muß jedoch ein einheitliches Bild zeigen“.

Die Vereinsmitglieder erörtern die städtischen Richtlinien. Ist die teure Umzäunung mit Maschendraht an Haupt- wie Nebenwegen wirklich erforderlich?

Die Vereinsmitglieder tauschen sich am 17. Mai 1935 auch über die Nebenwege aus: „Über die Einzäunung der Nebenwege wurde eingehend gesprochen. Um dem Ganzen ein einheitliches Bild zu geben, wird beschlossen, auch diese einheitlich ausführen zu lassen. Wegen der Kostenfrage erklärt sich der Fabrikant Gerlich bereit, mit monatlichen Abzahlungen von RM 3,– (in Worten drei Reichsmark) sich begnügen zu wollen. Der lfd. Meter Zaun, bestes Material vorausgesetzt, kostet RM 2,30. Eine einfache Gartentür mit Vorhängeschloß in Rundeisen kostet RM 8,50, während Türen in Winkeleisen und Kastenschloß RM 12,50 kosten sollen. Gärten, die bereits vorschriftsmäßig eingezäunt sind, werden hiervon nicht berührt.“ (17.05.1935, PB I, S. 1–2, hier S. 2, unterstrichen im Original)

Der Plan illustriert die Lage der Kolonie an der verlängerten Heinrichstraße auf Gliesmaroder Gebiet sowie die Bezeichnung „Bei den Brücken“ für das spätere Ersatzgelände jenseits dem Nussberg. Orange eingefärbt sind Stadterweiterungprojekte zu Beginn der 1930er Jahre im Braunschweiger Osten. Gliesmarode wird zum 1. April 1934 eingemeindet. Da die Kolonie auf dem Fricke’schen Gelände noch nicht auf Braunschweiger Stadtgebiet lag, musste die Landesgruppe den Landausschuss Gliesmarode anrufen. Als der Landausschuss entschied, dass die Kündigung nichtig sei, beschwerte sich Verpächter Fricke bei der Kreisdirektion. Daraufhin wurde im Februar 1934 ein Vergleich geschlossen: Das Pachtverhältnis wird um ein Jahr verlängert, der Pächter muss einige Arbeiten ausführen lassen und die Pacht wird ortsüblich geregelt – nicht mehr 8 Pfennig pro Quadratmeter, sondern nur noch 6 Pfennig. Dies soll immer noch überdurchschnittlich sein. Richard Geibel, „Vereinsführer“, unterrichtet Landesgruppenführer Dippold von seiner Eingabe: Geibel schreibt am 23. April 1934 an den Oberbürgermeister Dr. phil. Wilhelm Hesse. Er fragt, welches dringende Bedürfnis vorliege, das die Kündigung rechtfertige. Geibel beruft sich auf die Aussage des Reichskleingärtnerbundführers Dr. Kammler, dass Kündigungen nur möglich und nötig seien, wenn ein dringendes Bedürfnis vorliege. „Liegt nun ein dringendes Bedürfnis vor?“ (Geibel 1934) Der Protest hilft nicht, die Gärten müssen weichen. Foto: Stadtarchiv Braunschweig: Atlas „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“ (= Atlas 3), Signatur A III 102: Blatt 63, 3.63

Dem 1. „Reichskleingärtnertag“ in Nürnberg (1933) folgt …

Im Protokoll zur Versammlung vom 17. Mai 1935 heißt es weiter: „Der Landesgruppenführer, Herr Dippold, weist auf die große Tagung hin, die vom 26. bis 28. Juli in Braunschweig stattfindet und fordert auf zur regen und allseitigen Beteiligung. Er macht darauf aufmerksam, daß der Verein, der als Musterkolonie gelten soll, denn es ist die erste Dauerkolonie, den Landesschulungsleiter unter seinen Mitgliedern zählt und fordert die Mitglieder auf, den Weisungen des Landesschulungsleiters zu folgen, damit eine Musterkolonie auch entstehen würde. Der Landesschulungsleiter, Mitglied Funccius, verspricht nach besten Kräften, den Verein zu unterstützen.“ (17.05.1935, PB I, S. 1–2, hier S. 1)

… im Juli 1935 der 2. „Reichskleingärtnertag“ – ausgerechnet am Braunschweiger Nussberg.

Bei der „große[n] Tagung“ handelt es sich um den „2. Reichskleingärtner= und Kleinsiedler=Tag“ mit Festumzug am 28. Juli 1935. Der 1. Reichsgärtnertag hatte 1933 in Nürnberg stattgefunden, der 3. Reichsgärtnertag folgte 1937 in Chemnitz, der 4. Reichsgärtnertag 1939 in Wien (BDG 2021, S. 74). Ist es vorstellbar, dass der KGV Mutterkamp eine Art „Stellvertreterfunktion“ zu erfüllen hat, weil der „Reichskleingärtnertag“ am benachbarten Nussberg stattfindet. Ich meine damit: War die direkte Nähe des frisch gegründeten Mutterkamps zum Festgelände womöglich ausschlaggebend dafür, die Einzäunung voranzutreiben? – eben aufgrund des Verständnisses als „Verein, der als Musterkolonie gelten soll, denn es ist die erste Dauerkolonie“ (Jahresversammlung 17.05.1935, PB I, S. 1–2, hier S. 1).

NS-Propaganda

Die Verbandsgeschichte des „Bundesverbands Deutscher Gartenfreunde e. V.“ (BDG) – seit September 2023 „Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands e. V.“ (BKD) – ordnet den Veranstaltungstyp „Kleingärtnertag“ jedenfalls in den NS-Rahmen klar ein: „Die Fortführung der ,Kleingärtnertage‘ sicherte mit Aufmärschen und Reden vor allem die Propaganda. Statt demokratischer Abstimmungen fanden nationalsozialistische Vorträge und Ausstellungen statt.“ (BDG 2021, S. 74) Auf dem Braunschweiger Reichskleingärtnertag wird dementsprechend „die Rolle der Kleingärtner und Kleinsiedler als eine ausschließlich für den ,Gemeinnutz‘ tätige Bewegung in der nationalsozialistischen ,Volksgemeinschaft‘“ erklärt. (Aus der Zeitschrift „Garten und Kind“ (1935), zitiert nach LSK 2007, S. 190)

Das Stadtarchiv Braunschweig archiviert Zeitungsberichterstattung zu Vereinsjubiläen. BZ (26.07.2005): „Mutterkamp“ wird 70. / Kleingärtnerverein Mutterkamp wird 70 Jahre alt. / Henning Thobaben/BZ (23.07.2010): Kleingärtner feiern Jubiläum. 75 Jahre Kleingartenverein Mutterkamp – Mit Pionierarbeit den Umzug gemeistert. Signatur A VII 5. Foto: Stadtarchiv Braunschweig.

Quellen:

  • Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Handschriftliches Manuskript / Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
  • BDG / Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. (2021) (Hrsg.): Die ersten 100 Jahre. Die Verbandsgeschichte des deutschen Kleingartenwesens. Von Catharina Paetzelt. Berlin.
  • Landesverband Sachsen der Kleingärtner e. V. (LSK) (2007): Geschichte des Kleingartenwesens in Sachsen. Zum 100-jährigen Jubiläum der Gründung des „Verbandes von Garten- und Schrebervereinen“ 1907. Dresden. Online: http://www.kv-aue.de/vhp/20015/dokumente/geschichte_des_kleingartenwesens_in_sachsen.pdf [24.12.2023]