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Nr. 029: Urbarmachung und Kultivierung

Nr. 029: Urbarmachung und Kultivierung

Wie lässt sich das Handeln der Kleingärtnernden der Vorläuferkolonie Heinrichstraße beschreiben? Pragmatisch-realistisch? Mutig-pfiffig? Besser gar nicht werten?! Die Vereinsmitglieder weisen nämlich lieber einen 118. Garten aus und planen dafür ein wesentlich kleineres Vereinsheim. Und für Garten Nr. 119 ist am „Graben“ (auch) noch ein Plätzchen.

Hans Bohnhorst nennt den Gartenverein Mutterkamp „eine gewachsene Kolonie“. Dieser Begriff scheint eher weniger zur Vorstellung einer „NS-Vorzeigekolonie“ zu passen. Bohnhorst führt aus: „Reizvoll an unserer Anlage ist, daß wir nicht auf dem Reißbrett entstanden sind wie viele Neuanlagen, die derart uniform aussehen[,] weil nur eine Dachform zugelassen ist, wir sind somit eine gewachsene Kolonie.“ (Bohnhorst 1985b, S. 4; durchgestrichen im Original) Konkret soll es sich so zugetragen haben: „,Wir teilten ein Stück Ackerland mit Holzpflöcken in Parzellen auf, zogen Zäune, befestigten Wege, stellten Lauben auf und bohrten Brunnen. Die Gründer haben sich manche Mark vom Munde abgespart, um ihre Gärten gestalten zu können.ʻ“ (Zit. Hans Bohnhorst in BSZ 19.08.1975)

Lage Bee-house/Bienenhaus/Bienenstand in Garten Nr. 20. Der Garten gehört Willy Kibbat. Lageplan (Juni) 1946: „Lageplan der Kleingarten Kolonie Mutterkamp“. Foto: Archiv KGV Mutterkamp
Lage Bee-house/Bienenhaus/Bienenstand in Garten Nr. 20. Der Garten gehört Willy Kibbat. Lageplan (Juni) 1946: „Lageplan der Kleingarten Kolonie Mutterkamp“. Foto: Archiv KGV Mutterkamp
BSZ (Braunschweiger Zeitung) (19.08.1975; ho- (?)): „,Osttangente ist jetzt nicht mehr aktuellʻ. Ratsherren zerstreuten Bedenken der Kleingärtner 40 Jahre Anlage ,Mutterkampʻ.“ Foto: Archiv KGV Mutterkamp
BSZ (Braunschweiger Zeitung) (19.08.1975; ho- (?)): „,Osttangente ist jetzt nicht mehr aktuellʻ. Ratsherren zerstreuten Bedenken der Kleingärtner 40 Jahre Anlage ,Mutterkampʻ.“ Foto: Archiv KGV Mutterkamp

Lageplan von 1935: 117 Parzellen, Vereinsheim, „Wege A, B, C“

Das städtische Hochbauamt packte zwar NS-„Theorie“ in seine „Richtlinien“. Doch in der „Praxis“ der gelebten Kleingartenwirklichkeit schienen sich diese Vorgaben nicht umzusetzen. Die Diskussion über den späteren „Promenadenweg“, diesen anzulegen oder nicht anzulegen – einmal quer durch die Kolonie hindurch –, scheint jedenfalls von Anfang an äußerst widersprüchlich.

Der KGV Mutterkamp archiviert einen Originalplan des Braunschweiger Hochbauamts, der – wenn auch undatiert – die „KLEINGÄRTEN IM MUTTERKAMP“ zeigt. In der Legende steht eine rote Linie für die „äußere Umzäunung“, eine grüne Linie für „zu pflanzende Pflichthecken“ und eine gelbe Linie für „vom Verein auszubauende Wege“; „Abstand der Lauben von Nachbargrenzen = 2 m“.

Bäumchen als Barrieren?! Kein Zugang in die Kolonie vom Weg an der Bahnstrecke aus?!

Der schon sehr in Mitleidenschaft gezogene, stockfleckige Plan zeigt die „Wege A, B, C“ und 117 Gärten mit der jeweiligen Quadratmeterangabe und mit in Reih und Glied eingezeichneten Lauben inkl. „Spielplatz“ vor einem voreingezeichneten, sehr großzügig bemessenen Vereinsheim am „Graben“. (Lageplan 1935) Wie aber soll man den gelb gekennzeichneten und somit als „vom Verein auszubauenden“ „Weg C“ samt dessen Abzweigungen erreichen? Ich nenne das ganze Gebilde einmal „Wegenetz C“.

Der Plan des Hochbauamts legt erstens nahe, dass man vom Weg an der Bahnstrecke nicht zwischen den Gärten Nr. 89 und Nr. 90 in die Kolonie und auf „Weg C“ gelangen können soll. Dort stehen nämlich Bäumchen im Weg. Auch zwischen den Gärten Nr. 104 und Nr. 117 sind Bäumchen als Barriere zwischen „Weg C“ und dem Weg an der Bahnstrecke eingezeichnet. Doch zweitens ist „Weg C“ nach Osten hin komplett offen, also in Richtung Mittelriede. Es wirkt so, als könne man von dort aus nach Riddagshausen Richtung Messeweg gelangen. Und drittens „beweist“ die in der Legende rot markierte „äußere Umzäunung“, dass von Anfang an geplant gewesen sein muss, „Weg C“, den späteren sog. Promenadenweg, durch die Mutterkampkolonie hindurchzuführen und sie auf diese Weise zu „zerschneiden“.

119 Parzellen und ein kleine(re)s Vereinsheim?!

Doch ist nicht von 118 Gründungsmitgliedern die Rede?! (Abschrift Gründungsmitglieder, 1951) Des Rätsels Lösung hat mit dem vorgesehenen Vereinsheim zu tun und liegt außerdem an der Stelle, wo „Weg C“ über den „Graben“ (in Richtung Mittelriede) führt, hinter Garten Nr. 96 – dort wirtschaftete 1935 Wilhelm Klie. Statt des Vereinsheims entsteht nämlich Grabeland für Garten Nr. 118: „Vom Spielplatz wird noch ein Garten von etwa 400 qu für den Heimverwalter abgetrennt.“ (02.08.1935, PB I, S. 4–6, hier S. 6)

Und statt des undefinierten „Zipfels“ mit Baumbestand hinter Nr. 96 wird Garten Nr. 119 entstehen. So geht es aus einem weiteren Plan hervor, nämlich dem „Lageplan der Kleingarten Kolonie Mutterkamp (Stand vom 1. Mai 1946)“, in den die „Hindenburg Allee“ (heutige Ebertallee) neben dem „Fußweg nach Riddagshausen“ eingezeichnet ist, außerdem Garten Nr. 118 sowie ein kleineres „Vereinsheim“ mit einem „Br[unnen]“ und einem Schuppen: „Geräte“. Die Lauben sind im Plan von 1946 (immer) noch nicht so dargestellt, wie sie tatsächlich realisiert wurden – sie befinden sich weiterhin idealisiert „wie Perlen auf einer Schnur“. (Lageplan 1946)

Lageplan „Lageplan der Kleingarten Kolonie Mutterkamp (Stand vom 1. Mai 1946)“. Stadtarchiv Braunschweig. Signatur AVII 5. Foto: Archiv KGV Mutterkamp
Lageplan „Lageplan der Kleingarten Kolonie Mutterkamp (Stand vom 1. Mai 1946)“. Stadtarchiv Braunschweig. Signatur AVII 5. Foto: Archiv KGV Mutterkamp
Lageplan 1935 [undatiert]: KLEINGÄRTEN IM MUTTERKAMP. STÄDT. HOCHBAUNAMT, DEN XXXX. Foto: Archiv KGV Mutterkamp
Lageplan 1935 [undatiert]: KLEINGÄRTEN IM MUTTERKAMP. STÄDT. HOCHBAUNAMT, DEN XXXX. Foto: Archiv KGV Mutterkamp

Lageplan von 1946: Rein geht’s zwischen den Gärten Nr. 6/7 („Einfahrt“) und raus zwischen Nr. 104/117 („Ausfahrt“)

Von „Wegen A, B, C“ ist auf dem Plan von 1946 nicht (mehr) die Rede. Zwischen den Gärten Nr. 89–81 sowie Nr. 90–96 und Nr. 119 ist keinerlei Promenadenweg eingezeichnet! Stattdessen steht „Einfahrt“ zwischen den Gärten Nr. 6 und 7 am Beginn des „Wegenetzes C“ an der Ebertallee sowie „Ausfahrt“ zwischen den Gärten Nr. 104 und 117 am Ende des „Wegenetzes C“ und der Querung zum „Weg nach Gliesmarode“ / parallel zur Bahnstrecke. Die Parzelle Nr. 119 ist über einen kurzen Gang zwischen Nr. 83 und 96 zu erreichen. (Lageplan 1946)

Quellen:

  • Bohnhorst, Hans (1985b): „50 Jahre Kglv. Mutterkamp. Liebe Gartenfreundinnen, liebe Gartenfreunde, liebe Gäste.“ Notizen zum 50-jährigen Vereinsjubiläum. Handgeschriebenes Manuskript. Archiv KGV Mutterkamp, S. 1–6.
  • BSZ (Braunschweiger Zeitung) (19.08.1975; ho- (?)): „,Osttangente ist jetzt nicht mehr aktuellʻ. Ratsherren zerstreuten Bedenken der Kleingärtner 40 Jahre Anlage ,Mutterkampʻ.“ Fotokopie. Archiv KGV Mutterkamp.
  • Lageplan „KLEINGÄRTEN IM MUTTERKAMP“, verm. 1935. Archiv KGV Mutterkamp. (Lageplan 1935)
  • Peters, Wilhelm (1951b): „Abschrift! Namen der Gründungsmitglieder der Kleingarten-Kolonie Mutterkamp“. Archiv KGV Mutterkamp. 1 Seite. (Abschrift Gründungsmitglieder, 1951)
  • Protokollbuch I (1935–1962): Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. Transkription. Archiv KGV Mutterkamp, 192 Seiten. (PB I)
  • Lageplan „Lageplan der Kleingarten Kolonie Mutterkamp (Stand vom 1. Mai 1946)“. Archiv KGV Mutterkamp. (Lageplan 1946)