Nr. 022: Die „Braunschweiger Landeszeitung“ gilt als „Organ des Braunschweiger Bürgertums“
Die partei- und staatsunabhängige „Braunschweigische Landeszeitung“ (BLZ) meldet im März 1935: Stadt verpachtet Ersatzland zwecks Dauerkleingartenkolonie. – Wie sah die Braunschweiger Zeitungslandschaft bis zur „Machtübernahme“ aus?
Doch die BLZ stellt das „Ersatzland“ eben (in meinem Verständnis zumindest) auffällig und einseitig positiv heraus, indem sie die Meldung der Landesgruppe des dt. Kleingärtner- und Kleinsiedlerreichsbunds ohne Zusätze übernimmt und jene Schwärmerei wortwörtlich wiedergibt: „ein herrlich gelegenes Gelände“ (BLZ 13.03.1935). Die Schwärmerei passt zur damaligen Entwicklung der BLZ. Sie galt nämlich als das „Sprachrohr der nationalen Opposition“, „das zunehmend in nationalsozialistisches Fahrwasser geriet“ (Kaiser 1970, S. 18).
Die BLZ beanspruchte zwar 1880 bei ihrer Gründung, unabhängiges und liberal-bürgerliches Presseorgan zu sein, doch letztlich verfolgte sie eine konservativ-bürgerliche Linie. Die BLZ galt dementsprechend ab 1890 als inoffizielles Landesorgan der Nationalliberalen Partei (NLP), die sich 1866/67 aus dem rechten Flügel der Deutschen Fortschrittspartei (DFP) abgespalten hatte und 1918 in der gleichfalls nationalliberalen (und also nicht linksliberalen) Deutschen Volkspartei (DVP) aufging.
NS-Zeitung „Braunschweiger Tageszeitung“ (BTZ) erscheint ab 1931.
Seit 1931 wurde die NS-Zeitung „Braunschweiger Tageszeitung“ (BTZ) veröffentlicht. Wäre also anzunehmen, dass die „Braunschweigische Landeszeitung“ im Vergleich dazu am ehesten das passende Medium gewesen wäre, um weniger einseitig zu berichten? Die BLZ war in den 1930er Jahren immerhin das wichtigste Presseorgan für die Braunschweiger Bürgerinnen und Bürger: „Die siebenmal wöchentlich erscheinende Morgenzeitung BLZ galt trotz ihrer mittleren Auflage von 16000 Exemplaren im Jahre 1932 als das bedeutendste, weil politisch profilierteste Organ des Braunschweiger Bürgertums“ (Kaiser 1970, S. 18). Die BLZ bringt in ihrer Meldung vom 13. März 1935 jedenfalls kein markig klingendes Schlagwort „Musterkolonie Mutterkamp“. Damit hätte sie ja ausdrücklich ideologische Vorstellungen und Erwartungen propagieren können. Stattdessen erwähnt die BLZ-Meldung nur den Begriff „Dauerkleingartenkolonie“.
BAA, BLZ, BNN, BStZ, BTZ, NAZ und VF – die sieben Tageszeitungen in der damaligen Landeshauptstadt
Und was ist mit den anderen damals erscheinenden Zeitungen? Ist es denkbar, dass die vermeldete Geburtsstunde noch unbeachtet in anderen Presseorganen schlummert? Sieben Tageszeitungen gab es zwischen 1930 und der „Machtergreifung“ in der Landeshauptstadt Braunschweig (vgl. Kaiser 1970, S. 15–24). Parteiabhängige Blätter: Neben der NS-Parteizeitung BTZ erscheinen die SPD-Zeitung „Volkfreund“ (VF) und die kommunistische „Neue Arbeiter-Zeitung“ (NAZ). Neben dem parteiunabhängig-nichtstaatlichen Blatt der „Braunschweigischen Landeszeitung“ (BLZ) erscheinen im Leonhardt-Konzern – verwurzelt im Limbach-Verlag und der KG Lauer & Co. – auch die „Braunschweiger Neueste Nachrichten“ (BNN) und der „Braunschweiger Allgemeine Anzeiger“ (BAA). Und mit der „Braunschweigischen Staatszeitung“ (BStZ) existiert ein weiteres parteiunabhängig-bürgerlich profiliertes Presseorgan, das jedoch vom Staat abhängt.
Quellen:
- BLZ (Braunschweigische Landeszeitung) (13.03.1935): „Eine neue Kleingarten=Kolonie“. Nachabdruck. Archiv KGV Mutterkamp.
- Kaiser, Klaus (1970): Braunschweiger Presse und Nationalsozialismus. Der Aufstieg der NSDAP im Lande Braunschweig im Spiegel der Braunschweiger Tageszeitungen 1930 bis 1933. Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek. Braunschweig: Waisenhaus-Buchdruckerei/-Verlag