Nr. 021: „Braunschweigische Landeszeitung“ vermeldet die Geburtsstunde
In der BLZ findet sich die für diesen Blog entscheidende Meldung: Die Stadt Braunschweig verpachtet im März 1935 Ersatzgelände. Die „neue Kleingarten=Kolonie“ entwickelt sich allerdings „in Mischkultur“ mit den zeithistorischen Rahmenbedingungen. Deren wesentlicher Kern? Nichts weniger als diese Schlagworte: „Bereits praktizierter Staatsantisemitismus und allgemeiner Sozialdarwinismus“ sowie zunehmende „Entfesselung militärischer Macht Deutschlands“ (Longerich 2001, S. 49). Daraus ergibt sich: „Die deutschen Kleingärtner“ werden „mit voller Berechtigung in die Erzeugungsschlacht eingespannt“ (zit. nach BDG 2021, S. 75, S. 222).
Am 4. März 1935 verpachtet die Stadt Braunschweig der Landesgruppe als Hauptpächter 60 000 Quadratmeter auf zunächst 12 Jahre. Mit der Landesgruppe ist die „Bezirksgruppe Braunschweig“ im „Landesbund Niedersachsen“ des „Reichsbunds der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V.“, Berlin, gemeint (vgl. Landesverband Braunschweig 1995, S. 2, 6, 8). Der dt. Kleingärtner- und Kleinsiedlerreichsbund war am 29. Juli 1933 gleichgeschaltet worden, hatte den im August 1921 deutschlandweit gegründeten „Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands“ (RVKD), Berlin, geschluckt, unterstand dem Amt für Agrarpolitik/Reichsnährstand (BDG 2021, S. 69) und wurde 1938 (erneut) umbenannt, und zwar in „Reichsbund Deutscher Kleingärtner“ (BDG 2021, S. 73; vgl. Stein 2007, S. 39). Der am 20. Juli 1920 gegründete „Verband der Schreber- und Kleingartenvereine für den Freistaat Braunschweig e. V.“ durfte nicht unabhängig bleiben (vgl. Landesverband Braunschweig 1995, S. 8), sondern wurde dem „Landesbund Niedersachsen“ als „Bezirksgruppe Braunschweig“ zwangsangegliedert.
„ein herrlich gelegenes Gelände hinter dem Nußberg, genannt ,Der Mutterkamp‘“ … (BLZ 13.03.1935)
Am Mittwoch, 13. März 1935, lässt die Landesgruppe des dt. Kleingärtner- und Kleinsiedlerreichsbunds in der „Braunschweigischen Landeszeitung“ (BLZ) unter dem Titel „Eine neue Kleingarten=Kolonie“ vermelden – ja, „vermelden“, denn im Zeitungsartikel heißt es, dass die Landesgruppe „mitteilt“:
„Die Landesgruppe Braunschweig im Reichsbund der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V. teilt u. a. mit: Die Landesgruppe hat vom Rat der Stadt Braunschweig, als Ersatzland für zu räumende Ländereien, ein herrlich gelegenes Gelände hinter dem Nußberg, genannt ,Der Mutterkampʻ, zwischen dem Gartenverein Nußberg und der nach Riddagshausen führenden Straße gelegen, zum Zwecke der Errichtung einer Dauerkleingartenkolonie gepachtet. Die Ländereien sind schon ausgemessen und 117 Kleingärten vorgesehen. Die Vergebung der Gärten, Bekanntgabe der Bedingungen usw. findet am Sonnabend, dem 16. März dieses Jahres, abends 8 Uhr, im Saale des Restaurants im Stadtpark statt.“ (BLZ 13.03.1935; gesperrt im Originalzeitungsartikel)
… „zum Zwecke der Errichtung einer Dauerkleingartenkolonie gepachtet“ (BLZ 13.03.1935)
In der ersten Spalte links in der Mitte / unten befindet sich in der „Braunschweigischen Landeszeitung“ die für diesen Blog so überaus wichtige Meldung. Anlässlich des 50-jährigen Vereinsjubiläums 1985 hatte der Vorstand eine Reproduktion der Zeitungsmeldung organisiert. Der Zeitungstext liefert inhaltlich keinerlei Erklärung, wo und zu welchem Zweck „Ländereien“ geräumt werden mussten, schreibt nur vom „Ersatzland für zu räumende Ländereien“. Dies passt freilich zur journalistischen Textsorte einer Meldung. Ob zuvor ausführlicher berichtet wurde, ist (noch) nicht bekannt – und für diesen historischen Blog über „den Mutterkamp“ gar zu aufwendig zu recherchieren. Freilich passt dies auch zum geringen Nachrichtenwert: Warum sollten in einer Zeitungsmeldung Rechtfertigungsgründe für die vom Stadtrat bestimmte Räumung oder dagegen geliefert werden? Eine Zwangsräumung einer Kleingartenkolonie ist (sowieso) objektiv betrachtet wenig(er) bedeutsam – wenn man bedenkt, dass „das Jahr 1935 nach außen bereits von Vorzeichen der Entfesselung militärischer Macht Deutschlands und damit der von Hitler später betriebenen Expansionskriege geprägt“ war (Funke 2023). Und nach innen geprägt davon, „mit den ,Rassegesetzen‘ [„Nürnberger Gesetze“ vom 15. September 1935] den bereits praktizierten Staatsantisemitismus und allgemeinen Sozialdarwinismus zu radikalisieren.“ (Funke 2023; darin Verweis auf Longerich 2001, S. 49)
Quellen:
- Longerich, Peter (2001): Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur Endlösung. München/Zürich, S. 49. Zitiert nach Funke, Hajo (2023): 1935: Aufbau militärischer Macht und ,Nürnberger Rassegesetze‘. Online: https://www.ndr.de/geschichte/tagebuecher/1935-Aufbau-militaerischer-Macht-und-Nuernberger-Rassegesetze,kujau420.html [29.11.2023]
- Sondernachrichten des Reichsbundes der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V. (1937): 3. Reichskleingärtnertag in Chemnitz. 2. Jg. Heft 7–9, S. 140. Zitiert nach: BDG / Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. (2021) (Hrsg.): Die ersten 100 Jahre. Die Verbandsgeschichte des deutschen Kleingartenwesens. Von Catharina Paetzelt. Berlin 2021, S. 75, S. 222.
- Landesverband Braunschweig der Kleingärtner e. V. (1995): „75 Jahre Landesverband. Festschrift 1920/1995“. 48 Archiv KGV Mutterkamp.
- BDG / Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. (2021) (Hrsg.): Die ersten 100 Jahre. Die Verbandsgeschichte des deutschen Kleingartenwesens. Von Catharina Paetzelt. Berlin 2021.
- Stein, Hartwig (2007): Chronik 1907–2007. 100 Jahre Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg e. V. Online: https://www.gartenfreunde-hh.de/downloads/39/Chronik_1907_2007.pdf?1401712964 [12.10.2023]
- BLZ (Braunschweigische Landeszeitung) (13.03.1935): „Eine neue Kleingarten=Kolonie“. Nachabdruck. Archiv KGV Mutterkamp.
- Funke, Hajo (2023): 1935: Aufbau militärischer Macht und ,Nürnberger Rassegesetze‘. Online: https://www.ndr.de/geschichte/tagebuecher/1935-Aufbau-militaerischer-Macht-und-Nuernberger-Rassegesetze,kujau420.html [29.11.2023]