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Nr. 021: „Braunschweigische Landeszeitung“ vermeldet die Geburtsstunde

Nr. 021: „Braunschweigische Landeszeitung“ vermeldet die Geburtsstunde

In der BLZ findet sich die für diesen Blog entscheidende Meldung: Die Stadt Braunschweig verpachtet im März 1935 Ersatzgelände. Die „neue Kleingarten=Kolonie“ entwickelt sich allerdings „in Mischkultur“ mit den zeithistorischen Rahmenbedingungen. Deren wesentlicher Kern? Nichts weniger als diese Schlagworte: „Bereits praktizierter Staatsantisemitismus und allgemeiner Sozialdarwinismus“ sowie zunehmende „Entfesselung militärischer Macht Deutschlands“ (Longerich 2001, S. 49). Daraus ergibt sich: „Die deutschen Kleingärtner“ werden „mit voller Berechtigung in die Erzeugungsschlacht eingespannt“ (zit. nach BDG 2021, S. 75, S. 222).

Redemanuskript mit Reproduktion einer Zeitungsmeldung von 1935
Zum 50. Vereinsgeburtstag 1985 organisierte der Veinsvorstand eine Reproduktion der Meldung der Braunschweigischen Landeszeitung vom 13. Mai 1935. Vorderseite Seite 1 Manuskript Rede zum 50-jährigen Jubiläum Hans Bohnhorst mit Zeitungsmeldungs-Repro. Foto: Archiv KGV Mutterkamp e. V.
Historischer Brief des Gartenvereinsvorstands an den damaligen Bürgermeister
Geibel, Richard (23.04.1934): „Schrebergartenverein Heinrichstraße. Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Liegt nun ein dringendes Bedürfnis vor?“ Typoskript. Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414; 3 Seiten, hier S. 1. (Rückfrage zur Kündigung und Bitte um Ausgleichsfläche, April 1934)

Am 4. März 1935 verpachtet die Stadt Braunschweig der Landesgruppe als Hauptpächter 60 000 Quadratmeter auf zunächst 12 Jahre. Mit der Landesgruppe ist die „Bezirksgruppe Braunschweig“ im „Landesbund Niedersachsen“ des „Reichsbunds der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V.“, Berlin, gemeint (vgl. Landesverband Braunschweig 1995, S. 2, 6, 8). Der dt. Kleingärtner- und Kleinsiedlerreichsbund war am 29. Juli 1933 gleichgeschaltet worden, hatte den im August 1921 deutschlandweit gegründeten „Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands“ (RVKD), Berlin, geschluckt, unterstand dem Amt für Agrarpolitik/Reichsnährstand (BDG 2021, S. 69) und wurde 1938 (erneut) umbenannt, und zwar in „Reichsbund Deutscher Kleingärtner“ (BDG 2021, S. 73; vgl. Stein 2007, S. 39). Der am 20. Juli 1920 gegründete „Verband der Schreber- und Kleingartenvereine für den Freistaat Braunschweig e. V.“ durfte nicht unabhängig bleiben (vgl. Landesverband Braunschweig 1995, S. 8), sondern wurde dem „Landesbund Niedersachsen“ als „Bezirksgruppe Braunschweig“ zwangsangegliedert.

Versuch, die Vertreibung vom bisherigen Standort zu verstehen
Geibel 1934 / Rückfrage zur Kündigung und Bitte um Ausgleichsfläche. Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414; Seite 2.
ORTSBAUPLAN FÜR DAS STADTGEBIET ZWISCHEN GLIESMARODER-, WILHELMBODESTRASSE U. SA-FELD (18.02.1934). Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414.

„ein herrlich gelegenes Gelände hinter dem Nußberg, genannt ,Der Mutterkamp‘“ … (BLZ 13.03.1935)

Am Mittwoch, 13. März 1935, lässt die Landesgruppe des dt. Kleingärtner- und Kleinsiedlerreichsbunds in der „Braunschweigischen Landeszeitung“ (BLZ) unter dem Titel „Eine neue Kleingarten=Kolonie“ vermelden – ja, „vermelden“, denn im Zeitungsartikel heißt es, dass die Landesgruppe „mitteilt“:

„Die Landesgruppe Braunschweig im Reichsbund der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V. teilt u. a. mit: Die Landesgruppe hat vom Rat der Stadt Braunschweig, als Ersatzland für zu räumende Ländereien, ein herrlich gelegenes Gelände hinter dem Nußberg, genannt ,Der Mutterkampʻ, zwischen dem Gartenverein Nußberg und der nach Riddagshausen führenden Straße gelegen, zum Zwecke der Errichtung einer Dauerkleingartenkolonie gepachtet. Die Ländereien sind schon ausgemessen und 117 Kleingärten vorgesehen. Die Vergebung der Gärten, Bekanntgabe der Bedingungen usw. findet am Sonnabend, dem 16. März dieses Jahres, abends 8 Uhr, im Saale des Restaurants im Stadtpark statt.“ (BLZ 13.03.1935; gesperrt im Originalzeitungsartikel)

Auszug ORTSBAUPLAN FÜR DAS STADTGEBIET ZWISCHEN GLIESMARODER-, WILHELMBODESTRASSE U. SA-FELD (18.02.1934). Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414.
Auszug ORTSBAUPLAN FÜR DAS STADTGEBIET ZWISCHEN GLIESMARODER-, WILHELMBODESTRASSE U. SA-FELD (18.02.1934). Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414.
Geibel 1934 / Rückfrage zur Kündigung und Bitte um Ausgleichsfläche. Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414; Seite 3.

… „zum Zwecke der Errichtung einer Dauerkleingartenkolonie gepachtet“ (BLZ 13.03.1935)

In der ersten Spalte links in der Mitte / unten befindet sich in der „Braunschweigischen Landeszeitung“ die für diesen Blog so überaus wichtige Meldung. Anlässlich des 50-jährigen Vereinsjubiläums 1985 hatte der Vorstand eine Reproduktion der Zeitungsmeldung organisiert. Der Zeitungstext liefert inhaltlich keinerlei Erklärung, wo und zu welchem Zweck „Ländereien“ geräumt werden mussten, schreibt nur vom „Ersatzland für zu räumende Ländereien“. Dies passt freilich zur journalistischen Textsorte einer Meldung. Ob zuvor ausführlicher berichtet wurde, ist (noch) nicht bekannt – und für diesen historischen Blog über „den Mutterkamp“ gar zu aufwendig zu recherchieren. Freilich passt dies auch zum geringen Nachrichtenwert: Warum sollten in einer Zeitungsmeldung Rechtfertigungsgründe für die vom Stadtrat bestimmte Räumung oder dagegen geliefert werden? Eine Zwangsräumung einer Kleingartenkolonie ist (sowieso) objektiv betrachtet wenig(er) bedeutsam – wenn man bedenkt, dass „das Jahr 1935 nach außen bereits von Vorzeichen der Entfesselung militärischer Macht Deutschlands und damit der von Hitler später betriebenen Expansionskriege geprägt“ war (Funke 2023). Und nach innen geprägt davon, „mit den ,Rassegesetzen‘ [„Nürnberger Gesetze“ vom 15. September 1935] den bereits praktizierten Staatsantisemitismus und allgemeinen Sozialdarwinismus zu radikalisieren.“ (Funke 2023; darin Verweis auf Longerich 2001, S. 49)

Historischer Plan von 1917/18 in Schwarzweiß
Seit 1907 verpachtete Zementwarenfabrikant Richard Maring ein trapezförmiges Gelände von 3,1 Hektar zwischen dem Franzschen Feld und dem sog. Adamsgraben (sog. Maring-Gelände) an eine „Pächtergemeinde“ (Vorläuferverein), sodass „Hand- und Kopfarbeiter“ dort in 168 Parzellen gärtnern können. Dachdeckermeister Friedrich Fricke kaufte das Maring-Gelände 1921 und wurde neuer Verpächter. Die Gärten auf dem sodann Fricke’sches Gelände genannten Gebiet befanden sich auf einem Grund, der bereits 1900 im Bebauungsplan gestanden hatte, wie projektierte Straßen zeigen: Str. 94, 95 in Verlängerung der Heinrichstraße; Str. 102 in Verlängerung der Allerstraße; Str. 105 in Verlängerung der Wabestraße sowie die Querstraßen 78 und 85. Mit dieser Auskunft, dass die Gärten schon immer ein Provisorium gewesen seien, versuchte die Stadtverwaltung im April/Mai 1934 den Vorstand des „Schrebergartenvereins Heinrichstraße“ zu „trösten“. „Vereinsführer“ Richard Geibel hatte zuvor den damaligen Oberbürgermeister, Dr. Wilhelm Hesse, dafür zu sensibilisieren versucht, dass der Kolonie durch den zweiten Verpächter, Friedrich Fricke, im Sommer 1933 wegen vorgeblicher „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ gekündigt worden sei. Foto: Stadtarchiv Braunschweig, Historischer Atlas der Stadt Braunschweig, 1.129 (unterer Teil)
Historischer Plan von 1917/18 in Farbe
Auf der sog. Jasper’schen Landschaftskarte ist die Lage der Kolonie an der verlängerten Heinrichstraße wie auch der „Gartenverein Nußberg“ gut zu erkennen. Ein trapezförmiges Gelände rechts vom Adamsgraben, in dem der Name „Maring“ zu lesen ist. Richard Maring hieß der erste Verpächter, ein Zementwarenfabrikant. Er verpachtete seinen früheren Zementplatz, den die Kolonisten dementsprechend urbar machten. Foto: Stadtarchiv Braunschweig, Braunschweig-Atlas 2.150a (oberer Teil)

Quellen:

  • Longerich, Peter (2001): Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur Endlösung. München/Zürich, S. 49. Zitiert nach Funke, Hajo (2023): 1935: Aufbau militärischer Macht und ,Nürnberger Rassegesetze‘. Online: https://www.ndr.de/geschichte/tagebuecher/1935-Aufbau-militaerischer-Macht-und-Nuernberger-Rassegesetze,kujau420.html [29.11.2023]
  • Sondernachrichten des Reichsbundes der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V. (1937): 3. Reichskleingärtnertag in Chemnitz. 2. Jg. Heft 7–9, S. 140. Zitiert nach: BDG / Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. (2021) (Hrsg.): Die ersten 100 Jahre. Die Verbandsgeschichte des deutschen Kleingartenwesens. Von Catharina Paetzelt. Berlin 2021, S. 75, S. 222.
  • Landesverband Braunschweig der Kleingärtner e. V. (1995): „75 Jahre Landesverband. Festschrift 1920/1995“. 48 Archiv KGV Mutterkamp.
  • BDG / Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. (2021) (Hrsg.): Die ersten 100 Jahre. Die Verbandsgeschichte des deutschen Kleingartenwesens. Von Catharina Paetzelt. Berlin 2021.
  • Stein, Hartwig (2007): Chronik 1907–2007. 100 Jahre Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg e. V. Online: https://www.gartenfreunde-hh.de/downloads/39/Chronik_1907_2007.pdf?1401712964 [12.10.2023]
  • BLZ (Braunschweigische Landeszeitung) (13.03.1935): „Eine neue Kleingarten=Kolonie“. Nachabdruck. Archiv KGV Mutterkamp.
  • Funke, Hajo (2023): 1935: Aufbau militärischer Macht und ,Nürnberger Rassegesetze‘. Online: https://www.ndr.de/geschichte/tagebuecher/1935-Aufbau-militaerischer-Macht-und-Nuernberger-Rassegesetze,kujau420.html [29.11.2023]