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Nr. 017: Exkurs zum „Ersatzland“, Teil 5 von 7: Günstig gelegenes Ersatzland an der Eisenbahntrasse

Nr. 017: Exkurs zum „Ersatzland“, Teil 5 von 7

Günstig gelegenes Ersatzland an der Eisenbahntrasse

Die Parzellen auf dem Mutterkamp liegen an Eisenbahngleisen Richtung Gifhorn/Uelzen, parallel zum Ringgleis. Die Kleinstaaterei hat die aufwendige Trassierung hervorgebracht. Und die Straßenüberführung über die heutige Ebertallee ist die älteste in ganz Braunschweig.

Die von der Stadt Braunschweig übernommene und als Dauerkolonie parzellierte Fläche der späteren Musterkolonie liegt an einer Eisenbahnstrecke. Deren Entstehung ist mit der „Kleinstaaterei“ des 19. Jahrhunderts verflochten: Während die Herzoglich-Braunschweigische Staatseisenbahn nämlich 1838 den Alten (Haupt-)Bahnhof hatte errichten lassen, inkl. der Strecke nach Bad Harzburg, war es die Preußische Staatseisenbahn gewesen, die von diesem Kopfbahnhof aus zwischen 1891 und 1894 den Bahnabschnitt Braunschweig‒Meine baute. Auf der späteren Gifhorner/Uelzener Strecke war „[d]as wichtigste und auffallendste Bauwerk […] dabei die Straßenbrücke über die Bahnstrecke bei Riddagshausen, der heutigen Ebertallee. Überführungen waren zu dieser Zeit noch keine Selbstverständlichkeit, eher die Ausnahme. Sie ist die älteste Straßenüberführung über eine Eisenbahnstrecke in Braunschweig.“ (Warnecke 2006b, S. 84)

Historisches Flugblatt
Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1591–1634) belagerte Braunschweig drei Sommermonate. Die Belagerung wurde erst durch Truppen aus den Niederlanden und Hansestädten beendet. „Notberg“ heißt der Nussberg auf der Belagerungskarte Braunschweigs und dessen Umgebung auf dem Flugblatt von Ende September 1615, das Verleger Cortheis aus Frankfurt herausgab, um über die „BELAGERVUNG DER STATT BRAVNSCHWEIG“ in Bild und Text mit eingeschobenen Datumsangaben zu informieren. Foto: Stadtarchiv Braunschweig: Atlas „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“, 3.13

Aufwendige Trassierung „Am Nußberg“ ist bemerkenswert und rätselhaft

Die Strecke parallel zur heutigen Straße „Am Nußberg“ ist sehr aufwendig trassiert – für die Verhältnisse Ende des 19. Jahrhunderts bemerkenswert und etwas rätselhaft. Vermutlich wurde schlicht um jeden Meter Land gerungen. Während die Stadt Braunschweig die Bahnstrecke so nahe wie möglich an der Stadtgrenze haben wollte – Gliesmarode wurde ja erst 1934 eingemeindet –, wollte das in den 1890er Jahren für den Nussbergbereich zuständige braunschweigische Militär (und nicht mehr Herzoglich-Braunschweigisches Militär) gar keine Bahnstrecke auf seinem Grund sehen und dafür erst recht keine Teilbereiche abtreten (vgl. Lobach 2022).

Zum Glück für die eigene Scholle des KGV Mutterkamp verhandelte man nicht dahingehend, die „natürliche Hanglage“ im Bereich der heutigen Kleingartenvereine auszunutzen und die Eisenbahntrasse dorthin zu verschieben, eben einige Meter weiter nach Osten. Stattdessen scheute man keine Erdarbeiten, trug erhebliche Mengen des Nussbergs ab und schüttete damit den Straßendamm über die heutige Ebertallee erheblich auf: Deren „ursprüngliche[s] Niveau liegt etwa auf der Höhe der Stresemannstraße“ – in früherer Zeit eine alte Dorfstraße des Ortes Neuhof. (Warnecke 2006b, S. 84, S. 34)

Historischer Plan, der das Eisenbahnnetz zeigt
Während die Herzoglich-Braunschweigische Staatseisenbahn 1838 den Alten (Haupt-)Bahnhof errichten lässt, baut die Preußische Staatseisenbahn von diesem Kopfbahnhof aus zwischen 1891 und 1894 den Bahnabschnitt Braunschweig‒Meine, die spätere Gifhorner/Uelzener Strecke. Die in diesem Bereich liegende Straßenbrücke über die Bahnstrecke bei Riddagshausen, heutige Ebertallee, stellt die älteste Bahnüberführung in Braunschweig dar. Foto: Stadtarchiv Braunschweig: Braunschweig-Atlas, 2.193
Stadtkarte
Zunächst wurde am 9. Februar 1954 ein Flächennutzungsplan veröffentlicht, 1957 die neue Bauverordnung der Stadt herausgegeben und der Baunutzungsplan festgelegt. Der hielt neben den Durchführungsplänen auch Nutzungsarten und Ausnutzungsziffern im Gesamtgebiet der Stadt fest. Am 1. Oktober 1960 wurde der neue Hauptbahnhof eröffnet, ein Durchgangsbahnhof, der damals der modernste in Deutschland war, doch die Zonenrandlage machte diesen Vorteil zunichte. Der KGV Mutterkamp e. V. ist in der Stadtkarte von 1967 samt Wegenetz zum Vereinsheim endlich eingetragen, doch der Weg vom „Am Nussberg“ hinunter zur Mittelriede ist noch nicht als befestigt zu erkennen und er heißt auch noch nicht „Mutterkamp“. (Die Benennung erfolgte ja auch erst zum 14. Dezember 2010.) Noch in dieser Zeit, Ende der 1960er Jahre, zitterten die Kleingärtnernden, wenn das Schlagwort „Tangentenausbau“ und „Osttangente“ in den Mund genommen wurde, hätte deren Bau doch bedeutet, dass Gärten hätten weichen müssen. Der Tangentenring um die Stadt Braunschweig wurde ausgebaut. 1965 war die Südtangente zwischen der Roten Wiese bis zur Salzdahlumer Straße fertiggestellt worden. Die Westtangente wurde zwischen 1965 und 1970 bis an die Hildesheimer Straße herangeführt und nach einer vierjährigen Bauphase 1974 bis 1978 mit dem Abschnitt „Ölperknoten“ bis zur Hamburger Straße (Nordtangente) bzw. bis nach Watenbüttel (A 392) verlängert. Foto: Stadtarchiv Braunschweig: Atlas „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“, 3.67

Spaziergang auf dem Ringgleis zeigt: Heutige Eisenbahnstrecke nach Gifhorn/Uelzen verläuft in einem Einschnitt

Wenn man auf dem heutigen Ringgleis zwischen dem Osthang des Nussbergs und dem Bahndamm entlanggeht, lässt sich südlich des Bahnübergangs Grünewaldstraße erkennen, dass die Eisenbahnstrecke in einem Einschnitt verläuft (vgl. Warnecke 2001, 2, S. 5). Die Aushubmassen des Nussbergs wurden für Dämme verwendet, um den Personenhaltepunkt „Gliesmarode“ entstehen zu lassen. Sie dienten dazu, den Bahndamm nördlich davon und die Brücke „Berliner Straße“ aufzuschütten. Bis nach Gliesmarode hinein wurde Land aufgetragen, bis auf die Höhe des „Kleingartenvereins Himmelreich“ („LVB Fal“, also „Unterbezirk Fallersleber Tor“ im Landesverband (LVB)), der sich 1929 gründete. Ab 1897 verkehrte die Braunschweiger Straßenbahn vom Westbahnhof aus bis zur Brücke „Berliner Straße“ bzw. zum Personenhaltepunkt „Gliesmarode“.

Die Staaten Braunschweig und Preußen schlossen im Januar 1912 / Juni 1913 einen Vertrag, um zwischen 1913 und 1923 die von Gliesmarode abzweigende Bahnstrecke nach Celle zu errichten. Also brauchte es noch mehr Platz für die Gleise. Der nördlich gelegene Bahndamm des Personenhaltepunkts „Gliesmarode“ wurde erweitert, und 1914 entstand daraus der Abzweigbahnhof „Bahnhof Gliesmarode“. Die Brücke über die Berliner Straße wurde 1923 verbreitert. Heute führt nur noch die Straßenbahn hindurch, während es seit 1989 eine zweite Brücke für Autos und Fußgänger gibt (vgl. Lobach 2022).

Quellen:

  • Warnecke, Burchardt (2006b): Der Braunschweiger Nußberg und seine Umgebung. Ein Stück Stadtgeschichte aus dem Osten der Stadt Braunschweig. 10. Aufl. Braunschweig: Appelhans.
  • Lobach, Andreas: Der Bahnhof und die Nebenstrecken in Braunschweigs Norden. Online: https://www.hgli.lima-city.de/BhfGlsm.htm [17.09.2022]
  • Warnecke, Burchardt (2001): Der Braunschweiger Nußberg. Unser Hausberg im Östlichen Ringgebiet. 7. Fortsetzung. In: Klinterklater. Östliches Ringgebiet. Zeitung der SPD-Ortsvereine Fallersleber Tor, Magnitor und Steintor. 3. Jg., Nr. 2, S. 5/ Juni–August 2001. Online: https://www.spd-braunschweig.de/wp-content/uploads/sites/657/2019/02/2001_2.pdf [27.09.2023]