Nr. 012: Prominenter Gartenpächter
Enkel des „Fußball-Erfinders“ pachtet Garten Nr. 91
Einer der ersten Umgesiedelten vom „Schrebergartenverein Heinrichstraße“ war der langjährige Gartenfreund von Nr. 91, erinnert sich Dieter Richwien (Vereinsvorsitzender 1986–2004 und 2008–2013): Otbert Krüger (1920‒2004) unterrichtete an der „Volksschule Echternstraße“ und war BTHC-Hockeysportler – kein Wunder, denn bei Krügers Großvater mütterlicherseits handelt es sich um „Turninspektor“ August Hermann. Der hatte mit Konrad Koch zusammen 1874 in Braunschweig das Fußballspiel eingeführt sowie das an Basketball angelehnte „Korbballspiel“. Krüger hat seinen Großvater August Hermann (†1906) allerdings schon nicht mehr erlebt.
Über Otbert Krüger erzählt der Journalist Eckhard Schimpf in seiner Kolumne „Klinterklater“ in der Braunschweiger Zeitung (2017). Krüger habe seiner Schülerschaft 1948 verkündet, es gebe wieder Sportunterricht – drei Jahre nach dem Krieg trugen die meisten Kinder allerdings Wollhosen, „teilweise aus dreierlei Wollresten“, und ungeeignete Holzsandalen („Klapperschuhe“), also liefen sie barfuß um die Wette auf Krügers Pfiffe hin.
Er zählt sich zu einer „verlorenen Generation, verdorben von den Nazis“ (O. Krüger)
Auf einem Sportplatz an der Hennebergstraße am Bürgerpark soll Otbert Krüger begonnen haben, sich als Hockeytrainer für Kinder zu engagieren. In den darauffolgenden Jahren unterstützte er als Trainer zahlreiche Sportfreizeiten. Eckhard Schimpf interessiert sich für Otbert Krügers Motivation: „Was trieb ihn an? Das fragte ich, als wir mal auf dem Balkon seiner Wohnung saßen“ – also in der Bernerstraße 7. Und die Antwort? „Otbert wurde ganz ernst und sagte fast weise: ,Ich gehöre zu einer verlorenen Generation, verdorben von den Nazis. Das lässt mir keine Ruhe.‘ Was das hieß? Er wollte den Kinderseelen mit Sport einen sinnvolleren Lebensinhalt vermitteln, als er ihm selbst in der NS-Zeit eingeimpft worden war.“
Am Nußberg eröffnet im Sommer 1935 eine von 400 geplanten „Thingstätten“
Am 25. März 1935 gründete sich die „Musterkolonie“ Mutterkamp – im Kontext der NS-Ideologie. Einen Steinwurf entfernt wurde am 18. August 1935 der „Thingplatz“ eröffnet, mit einer Freilichtbühne in einer Schlucht am Nußberg, entstanden durch den Abbau des Rogensteins, den dort zu findenden Buntsandstein. Die NS-„Weihestätte“ war nach Planung des Reichsarbeitsdienstes in eineinhalbjähriger Bauzeit entstanden, 3000 Menschen waren daran beteiligt. Ein Amphitheater mit Platz für 15.000 Menschen wurde errichtet und mit dem Stück „Ewiges Volk“ mit etwa 3000 Mitspielenden und vor 15000 Zuschauenden eröffnet – ein Spiel von Arbeitern, Bauern, Soldaten, Jugendlichen mit Fanfarenstößen und Liedern der damaligen Zeit (vgl. Lehmann 1989, S. 92). Das Schauspiel sollte die „Volksgemeinschaft“ erfahrbar machen. Am 9. November 1935 wurde das „Franzsche Feld“ mit dem Namen „SA-Feld“ versehen.
„Uriges Gärtneroriginal“ Otbert Krüger darf „das schönste Gartenhaus in der Mutterkamp-Kolonie“ sein Eigen nennen (D. Richwien)
2004 hat der Niedersächsische Hockey-Verband den Otbert-Krüger-Pokal ins Leben gerufen. Dieter Richwien erzählt schmunzelnd von einer ganz anderen Ehre, die dem Gartenfreund Krüger hätte zuteil werden müssen: „Er hatte das schönste Gartenhaus in der Mutterkamp-Kolonie, und zwar umgekehrt, also von der anderen Seite her betrachtet – das war eine Hütte, ein Holzverschlag mit einem Loch drin, einer Plane und einer Decke drüber. Da hat ,ganz Deutschland‘ darüber gelacht, über dieses Gartenhaus, aber er fand es eben einfach schön.“ Seine Frau Margarete, genannt Gretel, baute sehr viel an, was nicht „kleingartenmäßig“ war, weil sie im Siegfriedviertel große Ländereien besessen hatte – Spargelland, heute stehen dort „Neu-bauten“. Dieter Richwien betont diesen Begriff selbstironisch angesichts der Zeit, die seit den 1970er Jahren bis heute wiederum vergangen ist.
Ehemaliger Spund und Ehrenmitglied unterhält beim 60. Vereinsjubiläum 1995
Der Nachbericht übers 60-jährige Gartenvereinsjubiläum beginnt voller Atmosphäre mit Otbert Krüger (BZ, 07.08.1995): „Seine Bude steht schief auf dem Parzellenacker, umwachsen von Kartoffeln, Bohnen und Rhabarber. Kleinere Bäume, behangen mit Äpfeln, Kirschen und auch Pfirsichen, spenden Otbert Krügers kleinem Paradies an der Bahntrasse etwas Schatten. Einst Kleingarten-Pionier, ist der 75jährige heute Ehrenmitglied des Gartenvereins Mutterkamp, der an diesem Wochenende sein 60jähriges Bestehen feierte.“
Wasser ja, aber Strom nicht vonnöten: „Licht broch ik auf’m Garten nich“ (O. Krüger)
„Als ,15jähriger Spund‘ half Krüger seinem Vater, die Laube auf einem der [1935] neu ausgewiesenen 117 Grundstücke zu bauen. Dort steht sie noch heute [1995], allerdings zogen Ausbau- und Renovierungswellen im Laufe der Jahrzehnte spurlos an ihr vorüber. Ja, einen Wasseranschluß für die Pumpe habe er auch gelegt, ,aber Licht broch ik auf’m Garten nich‘, sagt der ehemalige Lehrer. Einen Rasenmäher brauche er eigentlich auch nicht, denn seit er seine Frau von einem Bauernhof ,weggeheiratetʻ habe, macht der rüstige Rentner fast nur ,in Ackerbauʻ. Die Mitglieder feiern ihr uriges Gärtneroriginal Otbert Krüger, der während des Kommers‘ in seiner Rede gutgelaunt Anekdoten erzählte.“ (BZ, 07.08.1995)
Quellen:
- Büchner, Axel (2004): Ich bin sonst ’nen feinen Kerl. Otbert Krüger 1920–2004. Ein Nachruf. In: Club-Nachrichten 1/2004. Hrsg. vom Braunschweiger Tennis- und Hockey-Club e. V. https://www.bthc.de/app/download/13746120729/BTHC_Clubnachrichten_2004_1.pdf?t=1509010041 [08.02.2020]
- Hemmer, Richard und Daniel Meßner (2018): Die NS-Thingbewegung – Thingstätten und Thingspiele. In: Geschichten aus der Geschichte / GAG119. Podcast. <https://audio.podigee-cdn.net/543305-m-5ab8572c0e63fc1b28b1427ad9e70e6f.mp3?source=feed> [25.09.2023]
- Hoffmeister, Kurt (2010): Zeitreise durch die Braunschweiger Sportgeschichte. Überarb. und erw. Neuaufl. Norderstedt: BoD
- Schimpf, Eckhard (04.08.2017): „Schade um Dich. Du hast so nette Eltern.“ „Hockey-Legende und Braunschweiger Original: Erinnerungen an Otbert Krüger.“ In: Braunschweiger Zeitung. https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/kolumnen/article211474675/Schade-um-Dich-Du-hast-so-nette-Eltern.html [07.02.2020]
- Sander, Andreas und Jasper Boder (2003): Franzsches Feld | Nußberg, Prinz-Albrecht-Park. In: Vernetztes Gedächtnis. Topografie der nationalsozialistischen Herrschaft in Braunschweig. 1930 bis 1945. Hrsg. im Auftrag der Stadt Braunschweig, S. 46–50.
- Klingenberg, Axel (14.07.2004): Hitlers Kleinod. In: Jungle World 29. https://jungle.world/artikel/2004/29/hitlers-kleinod [02.01.2022]
- Braunschweiger Zeitung / Autorenkürzel „bu“ (07.08.1995): Paradies an der Bahntrasse. Kleingärtnerverein Mutterkamp besteht seit 60 Jahren. Stadtarchiv Braunschweig E 32.1: 341.17
- Lehmann, Wilhelm (1989): Der Braunschweiger Thingplatz im Nußberg. In: Braunschweigische Heimat. 75. Jg., S. 85–92. Online: https://leopard.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivate_00043172/2703-9067.pdf [03.10.2023]