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Nr. 009: Platz fürs „Fliegerviertel“ und das Luftgaukommando

Nr. 009: Platz fürs „Fliegerviertel“ und das Luftgaukommando

Sowie Ersatzland für eine „Musterkolonie“

Veränderungen in der NS-Zeit: Wohngebiet entsteht, nämlich Ein-, Zweifamilienhäuser gehobeneren Anspruchs für Offiziere an der Kommandozentrale „Luftkreiskommando“ – Stadtpark wird geteilt – 30 Meter breite Aufmarschstraße vom Dom zum Franzschen Feld wird geplant.

Die 6 Hektar große […] Fläche östlich des Nußberges […] mit der Flurbezeichnung „Mutterkamp“ wird […] als Ersatzland für den Kleingartenverein Heinrichstraße ausgewiesen, weil dort das „Fliegerviertel“ und das Luftgaukommando gebaut werden sollte. Das „Fliegerviertel“ entsteht 1935–1937 „in einem weitgehend noch unbebauten Gebiet südlich der schon bestehenden Gliesmaroder Straße und Karlstraße, wo sich bis dahin v. a. Schrebergärten befunden hatten“ (Mittmann 2003, S. 244). Beim heutigen „Malerviertel“ handelte es sich um „ein Wohngebiet von Ein- und Zweifamilienhäusern für gehobene Ansprüche der Offiziere des Luftwaffengaus“ (Stadt Braunschweig 2023b), die „somit in direkter Nachbarschaft der Kommandozentrale wohnen konnten“ (Warnecke 2006b, S. 72).

Die Straßennamen des Wohnviertels orientierten sich an Kampffliegern des Ersten Weltkriegs. „In der Vorplanung waren etwa 120 Bauplätze vorgesehen. Die Ost/West-Ausdehnung begann an der Wilhelm-Bode-Straße und endete an der Bahnlinie; in Nord/Süd[-]Richtung reichte sie von der verlängerten Wabestraße (später in Gunther[-]Plüschow[-S]traße, danach in Spitzwegstraße umbenannt) bis zur Boelckestraße, heute Grünewaldstraße. (Horn 2019, 2, S. 6) Was mitzubedenken ist: In diesem Gebiet gab es bis dahin nicht nur vorwiegend Kleingärten, sondern im „Bereich der heutigen Dürerstraße/Kollwitzstraße gab es auch Wohnplätze der Sinti“, Sintize, Roma und Romnja (Warnecke 2003, 1, S. 5).

Historischer Plan der Stadtgrenze
1862 waren die Grenzen des Stadtgebiets amtlich festgestellt worden. Seitdem hatte es kaum Eingemeindungen gegeben, obwohl dies seit dem 19. Jahrhundert vorgeschlagen worden war. Die erste größere Eingemeindung erfolgte zum 5. Juni 1925: Der Prinz-Albrecht-Park und das Franzsche Feld wurden mit einer Gesamtfläche von 114,58 Hektar aus dem Gemeindebezirk Riddagshausen dem Stadtgebiet zugeschlagen. Diese neue Stadtgrenze bestand bis 31. März 1931. Deutlich zu erkennen ist die Lage der 168 Kleingärten der Kolonie an der verlängerten Heinrichstraße. Es handelte sich um keinen eingetragenen Schrebergartenverein, obwohl die Gärten schon seit 1907 bestanden. Auf dem Gelände war teilweise früher der Zementplatz der Firma Maring gewesen, Zementwarenfabrikant Richard Maring hieß der Grundstückseigentümer. Im Mai 1923 verkaufte die Erbengemeinschaft Maring die 12,5 Morgen Land an die Firma Gebr. Fricke. Dachdeckermeister Friedrich Fricke wurde der neue Verpächter. Die Kolonie war weiterhin nicht als Verein organisiert. Erst im August 1933 gründete sich der „Schrebergartenverein Heinrichstraße“ – eine Zwangsgründung, die Staatskommissar E. Dippold veranlasst hatte, Führer der Landesgruppe Braunschweig im Reichsbund der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands. Foto: Stadtarchiv Braunschweig: Atlas „Die Geschichte der Stadt Braunschweig in Karten, Plänen und Ansichten“, 3.60

Luftgaukommando auf dem Franzschen Feld

1936 legte das NS-Regime auf dem Franzschen Feld den Grundstein zum Neubau des „Luftkreiskommandos“. Es wurde im März 1938 eingeweiht und im April 1938 in „Luftwaffengruppe II West“ umbenannt. B. Warnecke, Spezialist für den Nussberg in der Stadtteilheimatpflege des Östlichen Ringgebiets, ist der Meinung, dass „[f]ür einen Baubeginn im Jahre 1935 spricht, daß im gleichen Jahr bereits mit dem Bau des sog. Fliegerviertels begonnen wurde (diese nichtmilitärische Nachricht wurde in der Braunschweiger Tageszeitung vom 22. Mai 1935 gefunden).“ (Warnecke 2006b, S. 72) Die „Braunschweiger Tageszeitung“ (BTZ) war von Februar 1934 bis April 1945 das amtliche Organ des Braunschweiger Freistaats (vgl. Kaiser 1970, S. 21). In jedem Fall scheint es „praktisch“, im „Fliegerviertel“ zu wohnen, wenn in der Nähe die Kommandozentrale des Luftgaukommandos entsteht – ein Beispiel „monumentaler Repräsentationsbauten“ (Mittmann 2002, S. 14) –, um von dort aus die „gesamten Luftstreitkräfte in Nord- und Westdeutschland“ zu befehligen (Mittmann 2002, S. 49).

Stadtpark wird geteilt

Im September 1936 wurde die Kaiser-Wilhelm-Straße, heutige Jasperallee, über die Wilhelm-Bode-Straße hinaus durch den Stadtpark „hindurchgebrochen“ (Warnecke 2006b, S. 65, S. 68), sodass man auf die heutige Herzogin-Elisabeth-Straße stieß. In ihrem östlichen Bereich findet heutzutage donnerstags ein Stadtteilmarkt statt. In der NS-Zeit wollte man einen Zugang zum Nussberggebiet erhalten, indem man den Stadtpark teilte. Dabei „störte“ die 1904 eingeweihte historistisch-neoromanische St.-Matthäus-Kirche (zum Glück) nicht: Sie blieb Garnisonkirche, also die Kirche des vor Ort stationierten Militärs.

Historische Karten von 1925 bis 1936
Der Rat der Stadt Braunschweig erklärte in einer „Denkschrift“, dass das Stadtgebiet vergrößert werden müsse, da es sehr klein sei im Vergleich zu anderen deutschen Städten mit mehr als 150000 Einwohnenden. Braunschweig stand noch vor Berlin und Dresden an dritter Stelle unter den 50 größten Städten. Die Selbstverwaltungsorgane der Vororte hielten sich gegenüber der Stadt als Verhandlungspartner unterlegen. Das Staatsministerium stellte die Eingemeindungsfrage auch noch zurück. Zwar gab es im Land Braunschweig seit 1930 bereits die NSDAP in der Regierung, doch der Landtag übte noch eine Kontrollfunktion aus. Erst mit der Gleichschaltung des Landtags und der Stadtverordnetenversammlung am 13. April 1933 wurden die Gemeinden ihrer bäuerlichen Eigenständigkeit beraubt, indem die Eingemeindung per Gesetz am 27. März 1934 verfügt wurde. Friedrich Loepers wurde zum Reichsstatthalter in Braunschweig und Anhalt ernannt. Die drei übereinandergelegt fotografierten Karten zeigen, wie sich die Stadtgrenze verschoben hat. Der Plan ganz links (Signatur 3.63) zeigt den Verlauf der Stadtgrenze vom 01. April 1934 bis 31. März 1936, das Fricke’sche Gelände ist nicht mehr Gliesmaroder Gebiet, sondern als Gebiet der Stadt Braunschweig orange eingefärbt. Auf dem Plan 3.61 in der Mitte – Verlauf der Stadtgrenze vom 01. April 1931 bis 31. März 1934 – sticht das trapezförmige Gelände des vormaligen „Schrebergartenvereins Heinrichstraße“ gut erkennbar hervor. Ebenso auf der Karte ganz rechts, die den Verlauf der Stadtgrenze vom 22. Mai 1925 bis 31. März 1931 zeigt (Karte 3.60).

Schwanenteich im „Fasanenhölzchen“ wird zerstört

Außerdem plante das NS-Regime vom Burgplatz/Dom her über Dankwardstraße, Steinweg und Jasperallee eine 30 Meter breite „Aufmarschstraße“ zu Parteiveranstaltungen und Großkundgebungen auf dem „SA-Feld“. „Dabei wurde ein im Park [heutiger Stadtpark] liegender idyllischer Schwanenteich geopfert“ (Warnecke 2006b, S. 65), „in dessen Mitte sich […] eine Insel (mit Schwanenhaus im Fachwerkstil) mit einer Baumgruppe“ erhoben hatte (Warnecke 2006a, 1, S. 4). Der letzte Braunschweiger Herzog (Regierungszeit 1913–1918), Ernst August (III.) von Hannover, hatte in einer Art „Waldpark“ ab 1835 eine Fasanerie unterhalten. Deshalb hatte man in den 1880er Jahren diesen (damals eben) noch kaum entwickelten und besiedelten Bereich des „Morgenlands“ (Östliches Ringgebiet) als „Fasanenhölzchen“ bezeichnet (Warnecke 2006a, 1, S. 5).

Quellen: