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Nr. 003: In der Heinrichstraße herrscht 1935 eher kein Wohnungsmangel

Nr. 003: In der Heinrichstraße herrscht 1935 eher kein Wohnungsmangel

Wohl aber Wohnungsnot, wenn auch kein Wohnungsmangel.

Aus der Not heraus durfte im Prinzenpark und auf dem Franzschen Feld während des Ersten Weltkriegs Gemüse angebaut werden. Im Anschluss daran könnte die Vorläuferkolonie an der Heinrichstraße entstanden sein, als sich der „Bezirksverband Fallersleber Tor“ gründete.

Die Mutterkamp-Chronik schreibt, 1935 sei rege gebaut, notwendiger Wohnraum beschafft und das Stadtgebiet um gärtnerisch genutzte Außenbezirke erweitert worden. In der Tat ist in Braunschweig im Gründungsjahr des Gartenvereins Mutterkamp ein „besondere[r] Umfang der Gesamtbautätigkeit“ (Mittmann 2003, S. 16) zu verzeichnen. „Anfangs stand dabei noch die Verbesserung des aus der Weimarer Zeit [1918–1933] stammenden Überhangs schlechter Wohnverhältnisse im Vordergrund.“ (Stubenvoll 1987, S. 147) In den 1930er Jahren wäre im Bereich nördlich der Jasperallee Luft nach oben gewesen, um „im Östlichen“ Wohnungen für Mittel- und Unterschichten zu bauen: „Die Bebauung des Gebietes um die Schunterstraße erfolgte beispielsweise erst nach dem letzten Krieg [dem Zweiten Weltkrieg, 1939–1945].“ (Warnecke 2009, 1, S. 5) Es wäre demnach nicht zwingend nötig gewesen, die Kleingärtnerinnen und Kleingärtner von ihren Parzellen auf der Verlängerung der Heinrichstraße zu verdrängen.

Historischer Plan von 1917/18 in Schwarzweiß
1862 waren die Grenzen des Stadtgebiets amtlich festgestellt worden. Seitdem hatte es kaum Eingemeindungen gegeben, obwohl dies seit dem 19. Jahrhundert vorgeschlagen worden war. Im Maring-Gelände sind bereits projektierte Straßen zu sehen: Str. 94, 95 in Verlängerung der Heinrichstraße; Str. 102 in Verlängerung der Allerstraße; Str. 105 in Verlängerung der Wabestraße sowie die Querstraßen 78 und 85. Es wird also zutreffen, dass die Parzellen ab 1907 auf einem Grund angelegt wurden, der bereits 1900 im Bebauungsplan gewesen war. Mit dieser Auskunft hatte die Stadtverwaltung im April/Mai 1934 den Vorstand des „Schrebergartenvereins Heinrichstraße“ zu „trösten“ versucht, als der sich über die Kündigung der Kolonie durch den zweiten Verpächter, Friedrich Fricke, im Sommer 1933 wegen vorgeblicher „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ beschwerte. Foto: Stadtarchiv Braunschweig, Historischer Atlas der Stadt Braunschweig, 1.129 (unterer Teil)
Historischer Plan von 1917/18 in Farbe
Auf der sog. Jasper’schen Landschaftskarte ist die Lage der Kolonie an der verlängerten Heinrichstraße wie auch der „Gartenverein Nußberg“ gut zu erkennen. Ein trapezförmiges Gelände rechts vom Adamsgraben, in dem links unten der Name „Maring“ zu lesen ist. Foto: Stadtarchiv Braunschweig, Braunschweig-Atlas, 2.150a (oberer Teil)

Vorläuferkolonie gründet sich 1907 – „Pächtergemeinde“ besteht aus „Hand- und Kopfarbeitern“

Über den Vorläufer informiert ein dreiseitiger Brief des „Vereinsführers“ Richard Geibel vom 23. April 1934 an den damaligen Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Hesse. Eine „Pächtergemeinde“ aus „Hand- und Kopfarbeitern“ hatte sich seit 1907 auf einem Gebiet von 3,1 Hektar zwischen dem Franzschen Felde und dem sog. Adamsgraben zusammengefunden, um letztlich in 168 Kleingärten zu gärtnern. „Wir bearbeiten unser Stückchen Land als Regierungsrat oder Schlosser, neben der Witwe des Geheimrats gräbt der arbeitslose Volksgenosse.“ (Rückfrage zur Kündigung und Bitte um Ausgleichsfläche, April 1934, Seite 1)

Zementwarenfabrikant Richard Maring verpachtete das Gelände. „Wir haben das Land, das früher teilweise Zementplatz der Firma Maring war, erst urbar gemacht.“ Die Erbengemeinschaft Maring musste das Gelände im Mai 1923 zur Zeit der Inflation verkaufen. Dachdeckermeister Friedrich Fricke – „Ausführung sämtlicher Bedachungsarbeiten, Gerüst-Verleihgeschäft, gegründet 1901“ – kaufte das Grundstück und wurde neuer Verpächter. Bereits seit 1900 soll der Bebauungsplan das zu Gliesmarode gehörende „Fricke’sches Gelände“ zu Baugelände bestimmt haben, so geht aus der Antwort der Stadtverwaltung an Richard Geibel vom 25. April / 8. Mai 1934 hervor(Freigabe Grundstück Fricke für Bebauung, keine Ausweisung als Dauergrünfläche aus Kostengründen, April/Mai 1935).

Historischer Plan von 1917/18
Die Vermessungsabteilung des Städtischen Tiefbauamts schuf die achtteilige Rahmenkarte „Groß-Braunschweig“ in Schwarzweiß während des Ersten Weltkriegs. Die Kriegszeit macht sich bemerkbar, da aufs Franzsche Feld „Zur Zeit Kleinpachtland“ eingetragen ist. Die Stadt erstellte 1975 eine zweiteilige kolorierte Gedenkausgabe des Plans von 1917/18 in Reminiszenz an Dr. Heinrich Jasper, daher der Name „Jasper’sche Landschaftskarte“. Foto: Stadtarchiv Braunschweig: Braunschweig-Atlas, 2.151a (unterer Teil)
Die sog. Jasper’sche Landschaftskarte von 1917/18 zeigt Groß-Braunschweig.
Das spätere Gelände des Kleingartenvereins Mutterkamp hat verschiedene Bezeichnungen in historischen Plänen. Hier ist für das Flurstück jenseits des Nussbergs „Bei den Brücken“ eingetragen. Foto: Stadtarchiv Braunschweig, Historischer Atlas der Stadt Braunschweig, 1.126 (oberer Teil)

Anbau von Gemüse im Prinzenpark und auf dem Franzschen Feld

In der Chronik des Stadtteils „Östliches Ringgebiet“ steht für den 12. Dezember 1918 thematisch passend: „Genehmigung der Verpachtung eines Teiles des Franzschen Feldes zur Anlage von Schrebergärten.“ (Stadt Braunschweig 2022) Und der „Bezirksverband Fallersleber Tor der Gartenfreunde e. V.“ soll direkt nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sein (Landesverband 2023). Der KGV Nußberg gründete sich 1919 und der KGV Soolanger 1921. Wann ist der KGV BLW-BS-Gliesmarode Bahn-Landwirtschaft Bezirk Hamburg e. V. entstanden? Eine Antwort steht (immer noch) aus.

Burchardt Warnecke vertrat die eigens für ihn in der Stadtteilheimatpflege des „Östlichen Ringgebiets“ geschaffene Sparte „Nußberg“. Der „Nussberg-Spezialist“ bestätigt die Chronik des Stadtteils: „In der Zeit des 1. und 2. Weltkrieges wurden große Teile des [Prinz-Albrecht-]Parkes und des Franzschen Feldes für die Bevölkerung zum Anbau von Gemüse freigegeben“ (Warnecke 2002, 2, S. 5). Warnecke selbst gärtnerte übrigens beim 1920 gegründeten, an der heutigen Georg-Westermann-Allee gelegenen KGV Mückenburg.

Quellen:

  • Mittmann, Markus (2003): Bauen im Nationalsozialismus. Braunschweig, die „Deutsche Siedlerstadt“ und die „Mustersiedlung der Deutschen Arbeitsfront“ Braunschweig-Mascherode. Ursprung – Gestaltung – Analyse. Hameln: Niemeyer.
  • Stubenvoll, Bernhard (1987): Das Raumordnungsgeschehen im Großraum Braunschweig zwischen 1933 und 1945. Braunschweigs Raumordnungsziele in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden nationalsozialistischen Machteliten. Braunschweig: Stadt Braunschweig. Amt für Statistik und Stadtforschung. 
  • Warnecke, Burchardt (2009): Zur Entstehung des Östlichen Ringgebiets. In: Klinterklater. Östliches Ringgebiet. Zeitung der SPD-Ortsvereine Fallersleber Tor, Magnitor und Steintor. 11. Jg., Nr. 1, S. 4 f./März 2009, S. 4. Online: https://www.spd-braunschweig.de/wp-content/uploads/sites/657/2019/02/2009_1.pdf [27.09.2023]
  • Stadt Braunschweig (2022a): Chronik Östliches Ringgebiet. Online: https://www.braunschweig.de/leben/stadtportraet/stadtteile/oestl_ringgebiet/chronik.php [21.09.2022]
  • Landesverband Braunschweig der Gartenfreunde e.V. (2023): Über uns. Online: https://www.gartenfreunde-braunschweig.de/ueber-uns/mitgliedsverbaende/bezirksverband-fallersleber-tor-der-gartenfreunde-e-v/10694 [21.11.2023]
  • KGV Mutterkamp (2023) (Hrsg.): Protokollbuch Schrebergartenverein Mutterkamp 1935–1962. 192 Seiten. Transkription.
  • Geibel, Richard (23.04.1934): „Schrebergartenverein Heinrichstraße. Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Liegt nun ein dringendes Bedürfnis vor?“ Typoskript. Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414; 3 Seiten. (Rückfrage zur Kündigung und Bitte um Ausgleichsfläche, April 1934)
  • Abt. C 2/Rbm.Dir./My. (25.04.1934/08.05.1934): 1) An den Schrebergartenverein Heinrichstrasse, z. Hd. Des Herrn Richard Geibel, hier. Kl. Campestrasse 9. Typoskript. Stadtarchiv Braunschweig: Signatur E 66: 414; 1 Seite. (Freigabe Grundstück Fricke für Bebauung, keine Ausweisung als Dauergrünfläche aus Kostengründen, April/Mai 1935)